Drei Monate nach Verabschiedung des deutschen Lieferkettengesetzes bereitet man sich in Brüssel auf die Veröffentlichung eines entsprechenden und lang erwarteten Richtlinienvorschlags vor. Das Gesetz über nachhaltige Unternehmensführung, präsentiert von Vizepräsidentin Jourová und ausgearbeitet von den Kommissaren Reynders und Breton, soll am 27. Oktober vorgelegt werden. Auch in Brüssel sind die Diskussionen im Vorfeld kontrovers.

Bereits seit Anfang letzten Jahres diskutiert die Europäische Kommission die Vorlage eines Gesetzes über nachhaltige Unternehmensführung und unternehmerische Sorgfaltspflichten. Das Momentum ist offenkundig: seit 2017 haben mit Frankreich, den Niederlanden und zuletzt auch Deutschland drei EU-Mitgliedstaaten Gesetze zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten erlassen, ebenso wie Großbritannien und Norwegen.

Doch obwohl der verantwortliche Kommissar für Justiz und Verbraucher, Didier Reynders, bereits im April 2020 ein solches Vorhaben bestätigte, steht der entsprechende Gesetzesvorschlag dazu nach wie vor aus. Ursprünglich war der Richtlinienentwurf für den Sommer vorgesehen, zuletzt aber aufgrund kommissionsinterner Diskussionen in den Oktober verschoben worden. Auch dieser Termin scheint aktuell zu wackeln und bleibt in der Kollegiumsagenda der Kommission als „to be confirmed“ vermerkt.

Der Vorschlag ist angekündigt, Konfliktlinien werden deutlich

Die Kontroversen, die zu diesem Thema aus den Reihen der Verantwortlichen durchdringen, aber auch ganz offen von Interessenträgern diskutiert werden, sind vielfältig und sowohl politischer, bürokratischer als auch inhaltlicher Natur.

Aus politischer Perspektive lässt sich anmerken, dass Vera Jourová, Vize-Präsidentin der EU-Kommission und verantwortlich für den Bereich „Werte und Transparenz“, die den Vorschlag präsentieren wird, der Initiative ohnehin kritisch gegenübersteht. Es heißt, bereits als Justiz-Kommissarin unter Präsident Juncker habe sie entsprechende Vorhaben blockiert; Jourová lehnt eine zu konsequente Einmischung der öffentlichen Hand in die Unternehmensführung ab.

Und während Reynders, unter dessen Federführung das Gesetz erarbeitet werden sollte, noch im März gegenüber der FAZ erklärte, man wolle in mehrfacher Hinsicht deutlich weiter gehen, als das deutsche Gesetzesvorhaben erkennen ließ (mehr dazu in diesem Blogbeitrag), fiel die Folgenabschätzung (Impact Assessment) seines Entwurfs beim Ausschuss für Regulierungskontrolle im Anschluss durch. Der Ausschuss ist für die Qualitätssicherung im frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses zuständig und überprüft Folgenabschätzungen in Vorbereitung neuer Gesetzesvorhaben.

Zwar wurde betont, dass eine negative Bewertung durch den Ausschuss nicht ungewöhnlich sei – der im Anschluss gefasste Entschluss, wonach das Dossier künftig von Reynders und Thierry Breton, Kommissar für den Binnenmarkt, gemeinsam betreut werden würde, ließ allerdings aufhorchen. Aktivisten und NGOs fürchten seitdem eine wirtschaftsfreundliche „Verwässerung“ des EU-Vorschlags.

Die EP-Entschließung wirkt richtungsweisend

Auf inhaltlicher Ebene lassen sich die Kontroversen, die dem Kommissionsentwurf vorausgehen, auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments „zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen“ vom 10. März 2021 zurückführen. Diese enthält bereits einen detaillierten Vorschlag zur Ausgestaltung der Richtlinie, welcher nach wie vor als richtungsweisend für das Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene gilt.

  • Anders als das deutsche Lieferkettengesetz will der Parlamentsvorschlag eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen aller Größen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette durchsetzen. Damit fielen auch KMU in den Anwendungsbereich, vorausgesetzt sie sind börsennotiert und/oder in (noch zu definierenden) Risikosektoren aktiv.
  • Auch die im Rahmen des Vorschlags diskutierten Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten gehen über das deutsche Gesetz hinaus: so muss die Strategie zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht und Risikoerklärungen öffentlich und gegenüber Interessenträgern kommuniziert sowie zudem jährlich überprüft werden.
  • Zudem soll sie in die langfristige Strategieplanung des Unternehmens einfließen, Vorstände unter Umständen ihre Nachhaltigkeitsexpertise ausbauen müssen.
  • Imperativ ist dabei auch die regelmäßige Überprüfung von Subunternehmern und Zulieferern auf Einhaltung der Strategie. Nicht zuletzt, weil das betreffende Unternehmen für Verstöße innerhalb seiner Lieferkette künftig zur Rechenschaft gezogen werden soll.

Diese vom EU-Parlament vorgeschlagenen Bestimmungen zur zivil- und verwaltungsrechtlichen Haftung stehen ebenfalls in starkem Kontrast zum deutschen Lieferkettengesetz, und könnten Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen Schadensersatzforderungen vor EU-Gerichten ermöglichen.

Was nun vom Kommissionsvorschlag zu erwarten ist

Die Sorge unter Unternehmensvertretern und Mitgliedstaaten ist entsprechend groß, dass der anstehende Kommissionsvorschlag nicht weit vom Richtlinienvorschlag des Parlaments entfernt sein könnte. Denn auch die vorläufige Folgenabschätzung (Inception Impact Assessment), von der Kommission im Sommer 2020 veröffentlicht, diskutiert die Einführung einer Fürsorgepflicht für Vorstände, auf dass diese auf die langfristige strategische Ausrichtung ihrer Unternehmen im Sinne der Nachhaltigkeit einwirken.

Zur tatsächlichen Ausgestaltung des Kommissionsvorschlags ist allerdings bisher noch nichts bekannt – es liegt kein Entwurf vor, und die eingangs erwähnte, finale Folgenabschätzung bleibt nach wie vor unveröffentlicht.

Gleichzeitig gilt eine EU-weite Harmonisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen als vorteilhaft, würde sie doch den aktuellen Flickenteppich an Gesetzen beseitigen und damit für flächendeckende Rechtssicherheit sorgen.

Was man nach der Bundestagswahl von der deutschen Position erwarten darf

Indes bringen sich die Mitgesetzgeber in Stellung. In einem Brief an die Kommission betonen die Vorsitzenden sämtlicher Fraktionen, dass an den vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen ambitionierten Bestimmungen festzuhalten sei; insbesondere der weite Anwendungsbereich und die jeweilige Haftung für Verstöße werden angemahnt.

Während die Unterstützung für ein umfassendes Sorgfaltspflichtengesetz durch das EU-Parlament als weitgehend gesichert gilt, bleibt die Rolle der Mitgliedstaaten im Rat der EU noch unklar. Aus den Reihen der nordischen Mitgliedstaaten ist Kritik sowie die Forderung zu vernehmen, den Teil des Vorschlags, der sich auf die nachhaltige Unternehmensführung – und nicht Sorgfaltspflichten in der Lieferkette – bezieht, fallen zu lassen.

Eine wichtige Rolle in den inter-institutionellen Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat dürften auf jeden Fall Frankreich und Deutschland spielen, insbesondere vor dem Hintergrund der französischen Ratspräsidentschaft, die im Januar 2022 beginnt. Von Präsident Macron heißt es, er sei kein Freund des französischen Gesetzes von 2017 – und eine strengere Verpflichtung von Unternehmen sei mit ihm schlecht machbar.

Die deutsche Position entscheidet sich natürlich – wie so vieles – im Rahmen der Koalitionsverhandlungen, die nun auf die Bundestagswahl folgen. Die Haltung der Parteien unterscheiden sich, wobei zwischen SPD und Grünen die größte Kongruenz besteht. Beide sprechen sich für ein umfassendes Sorgfaltspflichtgesetz mit verbindlichen Regeln, zivilrechtlicher Haftung und Entschädigungsmöglichkeiten für Betroffene auf europäischer Ebene aus. Die Union hingegen lehnt einen über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehenden EU-Vorschlag im Vorfeld bereits ab, während die FDP sich für risiko-, branchen- und größenspezifische Maßnahmen ausspricht.

Rechtzeitig diskutieren wir den anstehenden EU-Vorschlag daher – mit Lucrezia Busa, aus dem Stab von Kommissar Reynders, für die Europäische Kommission und mit Axel Voss, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Schattenberichterstatter der Parlamentsentschließung für den federführenden Rechtsausschuss.

Wir veranstalten die Diskussion gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Dünchheim, Désirée Maier und Christian Ritz von Hogan Lovells am 30. September 2021 von 14.00 – 15.30. Zur Registrierung geht es hier.

  • Beitrag von Elisabeth von Reitzenstein, Yvonne Gross Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 145 Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 201 28.9.2021
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