In den vergangenen Jahren sind eine Vielzahl neuer Gesetze zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten auf den Weg gebracht worden. Während in den Niederlanden Kinderarbeit im Fokus steht, liegt der Schwerpunkt in Großbritannien auf Zwangsarbeit, einen übergreifenden Ansatz verfolgt Frankreich wie jetzt auch die deutsche Bundesregierung. Dieser Trend wird in der Europäischen Union mit einem anstehenden neuen Richtlinienvorschlag auf die nächste Ebene gebracht, der weitreichende Sorgfaltspflichten für die Lieferkette für Unternehmen einführt.

Die Bundesregierung will mit dem „Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ deutsche Unternehmen verpflichten, ihrer globalen Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards besser nachzukommen. Das Gesetz soll ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten gelten.

Die Verantwortung der Unternehmen soll sich künftig auf die gesamte Lieferkette erstrecken, allerdings abgestuft nach „Einflussmöglichkeiten“. Dazu gehören vor allem der eigene Geschäftsbereich sowie unmittelbare Zulieferer. Mittelbare Zulieferer werden dann einbezogen, wenn das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene „substantiierte Kenntnis“ erhält.

Als Risikosektoren werden vielfältig die Textil-, Lebensmittel- und Automobilbranche gesehen, die ihren Sorgfaltspflichten entlang der globalen Lieferketten entsprechend nachkommen müssen.

„Dass Textil als Risikosektor gesehen wird, ist nicht überraschend, da wir ja oft im Blickpunkt stehen“, so Ralph Kamphöner, der den Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie auf europäischer Ebene vertritt: „Der Sektor ist aber weit besser als sein Ruf“.

Die im Lieferkettengesetz vorgesehene Risikoermittlung obliegt den Unternehmen, stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion klar:

„Die gesetzliche Sorgfaltspflicht soll risikobasiert umgesetzt werden und sich auf alle Lieferketten beziehen. Welche Risiken das Unternehmen wie adressieren muss, hängt maßgeblich von der individuellen Unternehmens- und Risiko-situation ab. Die Bewertung und Priorisierung entlang der im Gesetzentwurf verankerten Prinzipien erfolgt durch die Unternehmen im Rahmen ihrer Risikoanalyse. Auf dieser Grundlage entscheidet das Unternehmen selbst, welche Risiken es zuerst adressiert.“

Das deutsche Lieferkettengesetz soll nach der Anhörung im federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales im Mai noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Ebenfalls noch vor dem Sommer will derweil die EU ihren entsprechenden Richtlinienvorschlag vorlegen, wobei die Europäische Kommission bereits klar gemacht hat, dass sie hier deutlich weiter gehen will als die deutsche Bundesregierung. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte der für Justiz und Rechtsstaatlichkeit zuständige Kommissar, Didier Reynders, vor einigen Wochen:

„Wir wollen weit gehen, weit die Lieferkette herunter und weit, was die Zahl der betroffenen Unternehmen betrifft.“

Die vorgesehenen Übergangsfristen in Deutschland, mit Schwellenwerten bei der Mitarbeiterzahl, gehen der Europäischen Kommission dabei nicht weit genug. „In einigen EU-Staaten gibt es gar keine Unternehmen mit so vielen Mitarbeitern“, sagt Reynders. „Zudem sagt die Größe der Unternehmen nichts aus.“

Der EU-Vorschlag wird daher voraussichtlich alle Unternehmen – mit Sitz in der EU wie auch Unternehmen, die in die EU einführen – erfassen. Die zu erfüllenden Sorgfaltspflichten sollen dann wiederum nach sektoralen und unternehmensspezifischen Risiken abgestuft werden.

Aus Sicht der Textil- und Modeindustrie sieht Ralph Kamphöner die EU-Vorstöße kritisch:

Manche Risiken sind unternehmensspezifisch und lassen sich daher schwierig sektorweit koordinieren. Ein kleines Label operiert ja beispielsweise sehr unterschiedlich im Vergleich zu einem großen Modekonzern. Die Vorschläge zu branchenspezifischen Aktionsplänen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht halten wir daher für wenig zielführend.“

Das Europäische Parlament unterstützt die Ambitionen der Europäischen Kommission und hat bereits im März dieses Jahres einen umfänglichen Beschluss gefasst, der auch einen ersten Entwurf für einen Richtlinienvorschlag enthält.

Darin wird klargestellt, wie die Know-Your-Customer-Pflichten (KYC) entlang der Wertschöpfungskette, unter gebührender Berücksichtigung des Geschäftsgeheimnisses, zu erfassen sind. Zu den einschlägigen offenzulegenden Informationen durch das Unternehmen gehören:

„Namen, Standorte, Arten der gelieferten Produkte und Dienstleistungen sowie andere einschlägige Informationen über Tochterunternehmen, Zulieferer und Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette.“

Von Seiten der Industrie ist der vorliegende deutsche Vorschlag auf substantielle Kritik gestoßen, einer der Kernpunkte dabei ist die Belastung von – insbesondere kleinen und mittleren – Unternehmen bei der Erfassung und Dokumentation der Lieferketten.
Hier können möglicherweise digitale Ansätze helfen, die darauf ausgerichtet sind, Lieferketten von Rohmaterialien über Vorprodukte und Bauteile global abzubilden und nachzuverfolgen.

Das Berliner Tech-Unternehmen Ubermetrics bietet Market-Intelligence-Lösungen um gestützt auf künstliche Intelligenz auf mögliche Reputations-, Markt-, Umwelt-, Lieferketten- oder Produktrisiken effektiv reagieren zu können. Gründer Patrick Bunk sieht das Potential, moniert aber bestehende Unzulänglichkeiten des derzeitigen Ansatzes:

Die obengenannten Daten haben keinerlei Nutzen, solange sie nicht maschinenlesbar sind. Es muss hier einen Standard geben. Außerdem kommt ein Unternehmer schwer aus der Haftung, wenn er durch eine kurze Google-Recherche etwa auf ein arbeitsrechtliches Vergehen eines Zulieferers hätte stoßen können. Durch ein systematisches Monitoring globaler Veröffentlichungen kann ein Unternehmen aber einige Risiken frühzeitig erkennen und die entsprechenden Schritte einleiten.

Das deutsche Lieferkettengesetz soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten, bis dahin könnte bereits eine dann in deutsches Recht umzusetzende EU-Richtlinie vorliegen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat zuletzt für eine globale, zumindest europäische Lösung, und damit einheitliche Regelung plädiert, die das deutsche Lieferkettengesetz ersetzen sollte und schlägt daher vor, eine „Sunset-Klausel“ einzufügen. Das deutsche Gesetz würde damit bei einer gleichlautenden europäischen Regelung automatisch außer Kraft gesetzt – wenn es denn noch vor dem Ende der Legislatur den Bundestag passiert.

Bei Fragen zum Lieferkettengesetz oder dem anstehenden EU-Richtlinienvorschlag stehen wir jederzeit zur Verfügung.

Kontakt
Elisabeth von Reitzenstein, reitzenstein@bernstein-group.com
Yvonne Gross, gross@bernstein-group.com

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