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In der Vergangenheit sind die Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) meistens unter dem Radar der allgemeinen Öffentlichkeit geflogen. Mit dem Beginn der COVID-19 Pandemie und den Videoberatungen im Bundeskanzleramt, in denen nun politische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen werden, ist dieses Format in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit getreten. Nun schauen wieder alle hin, wenn sich morgen die Länderchefs mit der Kanzlerin zu der nächsten Videokonferenz zusammenschalten.

Zentrale Erkenntnisse:

  • Die Ministerpräsidentenkonferenz in ihrer aktuellen Konstellation ist ein Sonderfall; folgt aber in ihren Abläufen wieder den bekannten Verfahren
  • Diese Konstellation lässt sich mit der föderalen Struktur und den besonderen Umständen erklären
  • Eine Rückkehr zu der eingeübten MPK-Praxis ist zu erwarten

In „normalen“ Zeiten tagt die MPK vier Mal im Jahr. Dann sind die Regierungschefs der Länder und die Chefs der jeweiligen Staatskanzleien (CdS) am Tisch. Vorher haben sich schon die A- (SPD-regierte  Bundesländer sowie das von Linken regierte Thüringen) und B-Länder (CDU/CSU-regierte Bundesländer und das von den Grünen geführte Baden-Württemberg) untereinander koordiniert. Zwei Mal jährlich tagt diese Runde im Anschluss dann mit der Bundeskanzlerin, um die gefassten Beschlüsse und weitere Themen zu beraten. Der Vorsitz wechselt am 1. Oktober eines jeden Jahres unter den Ländern. Aktuell organisiert und koordiniert Berlin die Konferenz. Vorher war Bayern Vorsitzender und im kommenden Jahr wird Nordrhein-Westfalen diesen Platz übernehmen.

Durch die COVID-19 Pandemie und die Struktur der deutschen Infektions- bzw. Pandemiebekämpfung sind die Länderberatungen nun verstärkt in die politische Verantwortung und den medialen Fokus gerückt. Denn die Bekämpfung ist föderal organisiert und damit vor allem Ländersache. Dadurch ist die MPK zum zentralen Gremium geworden. Denn hier müssen die Maßnahmen so getroffen werden, dass ein Großteil der Landesregierungen sie mittragen. Ansonsten droht ein „Flickenteppich“ an Maßnahmen.

Interessant ist im aktuellen Setting die Verschiebung der Diskussionsebene und der Akteurslandschaft. Denn während bisher nur die Bundeskanzlerin als Gast im Anschluss an die Beratungen zugegen war, ist sie nun Mittelpunkt der Beratungen. In der Öffentlichkeit wird sie als Moderatorin und Gastgeberin dieser Runde wahrgenommen. Und das obwohl die Bundesländer einen Großteil der Beschlüsse am Ende individuell umsetzen müssen. Das lässt sich vor allem mit der außergewöhnlichen Situation für die Akteure erklären Zudem haben sowohl die Ministerpräsidenten, aber auch die Bundeskanzlerin aktuell ein großes Interesse daran an diesen Sitzungen teilzunehmen. Denn wenn deutschlandweit die Infektionszahlen hochgehen, muss sich zuerst Angela Merkel erklären. Die Länderchefs werden meistens erst in zweiter Instanz gefragt, weshalb ausgerechnet in ihrem Bundesland die Fallzahlen steigen. Durch diese Konstellation muss Merkel als aktiver Part der Beratungen eine Rolle spielen, um zu zeigen, dass sie sich gegen die Ausbreitung stemmt. Die Regierungschefs der Länder können umgekehrt erstmal auf den Bund verweisen. Denn der saß mit am Tisch bei den Beratungen. Zudem ist es so einfacher, finanzielle Zusagen für die Pandemiebekämpfung vom Bund zu erhalten.

Bemerkenswert hierbei ist, dass in den bisherigen Besprechungen vor allem das Bundeskanzleramt die Beschlussvorlage erarbeitet hat, somit die Agenda bestimmt hat und dies von der medialen sowie politischen Öffentlichkeit als selbstverständlich angenommen worden ist. Die umgekehrte Reihenfolge hätte zum eigentlichen MPK-Verfahren gepasst: Die Länder hätten dann den Beschluss erstellt und mit dem Bund abgestimmt.

Daher scheint das aktuelle Verfahren zur Erarbeitung der morgigen Beschlussvorlage eine Rückkehr zu den erprobten Abstimmungsmechanismen zu sein: Zuerst beraten sich die Länder getrennt in den A- und B-Blöcken, bevor sie sich gemeinsam an den Verhandlungstisch begeben und einen länderübergreifenden Konsens erarbeiten. Bis hierhin war das Verfahren, welches über das Wochenende vor allem medial für Aufsehen sorgte, der standardmäßige Prozess. Selbst die anschließenden Beratungen mit der Kanzlerin folgen der normalen Logik der MPK. Erst die starke Einbindung des Bundeskanzleramts in die Abstimmung der Beschlussvorlage bricht mit den bisherigen Verfahren.

Daher ist die aktuelle mediale Aufmerksamkeit für jedes Diskussionspapier und Beschlussvorlage einer Länderseite verkürzt. Aktuell läuft die übliche Findungsphase von Kompromissen und Dissens ist normal und gar vorgesehen – es wäre deutlich bemerkenswerter, wenn an diesem Punkt schon Einigkeit herrschte. Jede Meldung über Inhalte beschreibt nur einen Zwischenstand. Die finalen Beschlüsse werden erst am morgigen Mittwoch gefasst. Es zeigt sich erneut, dass Verfahrenskenntnisse vor voreiligen Schlüssen und Handlungen schützen und man damit bessere sowie überlegtere Entscheidungen trifft. Dies gilt insbesondere für Public Policy-Verantwortliche in solch volatilen Situationen.

Wie werden sich diese Entwicklungen langfristig auf die Ministerpräsidentenkonferenz auswirken? Es scheint aktuell unwahrscheinlich, dass der Bund nach Beendigung der akuten Pandemiebekämpfung weiterhin eine zentrale Rolle in der MPK spielen wird. Denn dafür ist dieses Gremium in der Bundespolitik zu etabliert und eine dauerhafte Teilnahme an den Beratungen sowie Einbindung in die Vorbereitungen würde dazu führen, dass Vorhaben, die vor allem finanziell den Bund in die Pflicht nehmen, von vorhinein verwässert werden würden. Zudem betonten auch Ministerpräsidenten, wie zum Beispiel Bodo Ramelow (Thüringen; Die Linke) in einer Protokollerklärung im Oktober, dass die MPK sich nach der Bewältigung der Pandemie wieder auf ihre normalen Aufgaben fokussieren und sich nicht als dritte Ebene neben Bundestag und Bundesrat etablieren soll. Das liegt auch daran, dass die Koalitionspartner auf Länderebene wieder verstärkt mitentscheiden wollen. Dafür bietet sich der Bundesrat deutlich besser an als die MPK.

Spannender scheint zu werden, inwiefern die personellen Veränderungen in 2021 die Dynamiken in der MPK verändern werden. In sechs Bundesländern werden neue Parlamente gewählt. Ebenfalls wird im September der Bundestag neu gewählt. In vier der sechs Bundesländer deuten sich aktuell neue Regierungskonstellationen an. Nur in Thüringen und Sachsen-Anhalt scheinen laut den Umfragen Ende November die bisherigen Koalitionen weiterarbeiten zu können. Das hat nicht nur Einfluss auf den Bundesrat und die Stimmverteilung dort, sondern auch auf die personelle Zusammensetzung der Ministerpräsidentenkonferenz und damit auf die Dynamiken der Beratungen. Zwar würde aktuell nur Mecklenburg-Vorpommern vom Lager der A-Länder wieder zurück zu den B-Ländern wechseln, doch hätten dann diese wieder eine leichte Mehrheit von 9 zu 7 Stimmen. Das reicht für normale Beschlüsse, die mit mindestens 13 Stimmen gefasst werden müssten, nicht aus, doch würde es die Diskussion und Argumentation wieder leicht verschieben. Darüber hinaus wird ein neuer Regierungschef auf Bundesebene ab Ende 2021 an den Beratungen teilnehmen. Auch diese Entwicklung wird neue Dynamiken in die Beratungen und Abläufe bringen. Dem kommenden Vorsitzland Nordrhein-Westfalen wird daher die Aufgabe obliegen, die Runde neu zu strukturieren und zu integrieren. Dabei sind noch keine Wechsel von Regierungschefs während der Legislaturperiode berücksichtigt. Auch hier ist Nordrhein-Westfalen als Beispiel zu nennen, sollte es Armin Laschet final nach Berlin ziehen. Es könnte also sein, dass schlussendlich im kommenden Jahr eine ziemlich andere Runde sich trifft, die nach den lange einstudierten Regeln wieder tagen wird.

 

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