Regelmäßig möchten wir auf unserem Blog neben unserem eigenen Blick auf die Themen auch andere Perspektiven beleuchten und Externe zu Wort kommen lassen. Heute veröffentlichen wir ein Gespräch mit Sarah Melina Siebel, Director Internal Market bei spiritsEUROPE:


Könnten Sie zu Beginn bitte Hintergrund und Kontext des neuen Produktetiketts erläutern?

Im Prinzip begann alles begann mit einer Diskussion darüber, warum Spirituosen von der Bereitstellung von Verbraucherinformationen ausgenommen waren – was ja im Grunde für alle anderen Lebensmittel, die man auf dem EU-Binnenmarkt in Verkehr bringen kann, verpflichtend ist. Es gibt einige gute historische und praktische Gründe für die Ausnahme, da die Produktionsstandards und Etikettierungsvorschriften für Spirituosen durch EU-Recht bereits streng geregelt sind.

Dennoch mussten Verbraucher, wann immer sie nach dem Kaloriengehalt ihres Lieblingsgetränks suchten, erst googeln und dabei hoffen, dass die gefundenen Informationenkorrekt waren. Mit unserem Memorandum of Understanding (MoU) wollen wir dem ein Ende setzen. Wir stellen sicher, dass Verbraucher einfachen Zugang zu verlässlichen, korrekten und aussagekräftigen Informationen haben – sowohl auf der Flasche als auch online.

Kurz gesagt, der Hintergrund unseres MoU ist, dass wir als Branche für volle Transparenz sorgen wollen, wenn es um Verbraucherinformationen geht. Für uns ist es entscheidend, dass diese Informationen auf eine aussagekräftige, leicht verständliche Weise bereitgestellt werden.

Worauf sind Sie mit Blick auf diese Initiative besonders stolz?

Dass wir – zumindest bis jetzt – unsere Zusagen vollständig eingehalten haben. Die Änderung von Etiketten stellt einen viel komplexerer und kostspieligerer Prozess dar, als ich mir vorgestellt hatte, als wir damit begannen. Es ist fantastisch, die Ergebnisse unserer Arbeit in meinem örtlichen Supermarkt zu sehen und meinen Freunden zeigen zu können, dass unsere Arbeit einen sichtbaren Unterschied macht!

Das ist in der Tat eine große Leistung! Herzlichen Glückwunsch! Ich kann mir aber vorstellen, dass Sie  auf dem Weg dorthin auch auf einige Herausforderungen gestoßen sind. Würden Sie uns verraten, welche das waren?

Die größte Herausforderung liegt in dem fundamentalen Unterschied zwischen Selbstregulierung und rechtsverbindlichen Regeln! Bei rechtsverbindlichen Regeln besteht die Aufgabe schlicht darin, diese innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Frist umzusetzen. Bei Selbstregulierung hingegen müssen die Regeln erst mit den Mitgliedern definiert werden. Das braucht Zeit, denn Produkte, Traditionen und Ansichten sind in Europa unterschiedlich!

Es scheint also als könnten freiwillige Initiativen der Industrie anstelle von verbindlichen Rechtsvorschriften ein effektives Instrument sein, um im Sinne der EU-Mitgesetzgeber zu agieren. Können Sie von Ihren Erfahrungen mit diesem Prozess berichten? War die Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern immer konstruktiv oder sind Sie auch auf Widerstand gestoßen? Vor allem das Europäische Parlament hat wiederholt verbindliche Regeln gefordert, nicht wahr?

In unserem Fall hat die Selbstregulierung – oder vielmehr Ko-Regulierung – schnelle und substanzielle Erfolge gebracht. Ich bevorzuge den Begriff Ko-Regulierung, da die Europäische Kommission ein wichtiger Dialogpartner in diesem Prozess war. Sie hat z. B. Vorschläge gemacht, welche Elemente unser Memorandum enthalten könnte und war bei der Unterzeichnungszeremonie in Paris im Juni 2019 dabei – tatsächlich ein wichtiges Signal für die Branche. Die Teilnahme des EU-Gesundheitskommissars an unserer Auftaktveranstaltung hat den Mitgliedern gezeigt, dass etwas Großes im Gange ist. Außerdem ist die EU-Kommission nun auch daran interessiert, wie wir vorankommen. Sie treiben uns immer wieder an – wie ein guter Trainer. Das Europäische Parlament hat uns in diesem Prozess ebenso unterstützt und uns die Möglichkeit gegeben, unsere Initiative in relevanten Anhörungen und Sitzungen vorzustellen.

Wie steht spiritsEUROPE zu Gesundheitswarnungen, wie sie in „Europas Plan gegen den Krebs“ der Kommission im Februar 2021 vorgeschlagen wurden?

Verbraucherinformation muss verhältnismäßig, aussagekräftig und evidenzbasiert sein. Diese Grundsätze sollten als Diskussionsleitfaden für alle neuen Vorschläge gelten, die die Kommission zu gesundheitsbezogenen Warnhinweisen im Jahr 2023 möglicherweise vorlegen möchte. Aus praktischer Sicht sind für uns zwei Dinge wichtig: Da wir mit dem Memorandum gerade einen kostspieligen und komplexen Prozess zur Umgestaltung von Kennzeichnung durchlaufen, müssen wir uns Gedanken über den Zeitpunkt und das Ausmaß zukünftiger Änderungen machen.

Was wir brauchen, ist ein langfristiger, verlässlicher Rahmen von EU-Kennzeichnungsregeln, damit wir entsprechend planen und investieren können. EU-weit harmonisierte Regeln stellen ein wichtiges Element im Rahmen dieses Prozesses dar. Jede Renationalisierung der Kennzeichnungsregeln im EU-Binnenmarkt würde zu unnötiger Komplexität und Kosten führen und muss vermieden werden. Dies sind wichtige Grundsätze, die wir im Auge behalten sollten, wenn wir die Debatte im Jahr 2023 angehen.

Ihre Branche kann sicherlich als Vorreiter im Bereich der digitalen Kennzeichnung angesehen werden. Könnten Sie uns kurz erklären, wie das Ganze genau funktioniert?

Es ist wirklich einfach – und macht außerdem Spaß! Durch Scannen des QR-Codes auf einer Flasche können alle relevanten produktspezifischen Informationen online abgerufen werden! Das IT-Backend für diese Technologie ist unsere E-Label-Plattform, die wir gemeinsam mit der Weinbranche entwickeln. Die Plattform wird vollständig aus Branchenmitteln finanziert und allen Produzenten offenstehen. Die Betaversion der Plattform wird in den nächsten zwei Monaten pilotiert, um kurz darauf voll einsatzfähig zu sein.

In Spanien hat sich beispielsweise der nationale Handelsverband mit der Normungsorganisation GS1 zusammengetan, um eine spezielle nationale digitale Etikettierungslösung zu entwickeln, die den Verpflichtungen des Memorandums entspricht. Dank des Projekts können Verbraucher bereits heute über ihr Mobiltelefon durch Scannen des Barcodes auf produktspezifische Informationen zugreifen. Die Einführung des Projekts war ein großer Erfolg: 41 % der Spirituosenflaschen auf dem spanischen Markt bieten bereits Online-Verbraucherinformationen direkt über dieses System.

Welche Learnings können Sie für andere Branchen weitergeben? Sei es mit Bezug auf die Zusammenarbeit innerhalb einer Branche oder in der Zusammenarbeit mit der Politik zu diesem Thema?

Kooperation, Konsens und Vertrauen – auf allen Seiten! Jede Perspektive ist relevant, auch wenn sie zunächst vielleicht nicht leicht zu integrieren ist. Aber auf diese Weise arbeiten wir ja grundsätzlich – auf Verbandsebene, auf EU-Ebene, you name it.

Würden Sie sagen, dass die Zukunft in der Bereitstellung von Verbraucherinformationen über digitale Labels liegt und damit anstelle der herkömmlichen Kennzeichnung auf Verpackungen?

Hier geht es nicht um ‚entweder – oder‘, sondern um ’sowohl – als auch‘. Ich denke, Informationen auf der Verpackung werden immer eine wichtige Rolle spielen. Online-Informationen sind eine wunderbare Möglichkeit, über den Platz eines physischen Etiketts hinauszugehen, der natürlich recht begrenzt ist. So wie sich die Technologie weiterentwickelt, müssen auch wir als Branche ebenso wie die gesetzlichen Vorschriften in der EU – die übrigens bisher kein Wort über digitale Etiketten verlieren – mitziehen. Wenn wir mit dem Tempo unserer Zeit und den Erwartungen der Verbraucher mithalten wollen, muss sich die Situation ändern. Daher muss die Kommission unbedingt Wege finden, bei der Überarbeitung der EU-Lebensmittelkennzeichnungsverordnung im Jahr 2022 digitale Kennzeichnungsregeln zu integrieren.

Herzlichen Dank! Das war in der Tat ein sehr aufschlussreiches Interview!

Sarah Melina Siebel, SpiritsEUROPE

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  • Beitrag von Elisabeth von Reitzenstein Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 145 Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 201 10.5.2021
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