Regelmäßig möchten wir auf unserem Blog neben unserem eigenen Blick auf die Themen auch andere Perspektiven beleuchten und Externe zu Wort kommen lassen. Heute veröffentlichen wir ein Gespräch mit Lex Hartmann, CEO von ubitricity:


Lassen Sie uns einen Blick auf die Bundestagswahl werfen: Was erwarten Sie sich von einer neuen Bundesregierung beim Thema Ladesäulen bzw. E-Mobilität? Wo muss nachgelegt werden?

Bei der Elektromobilität geht es darum Emissionen zu reduzieren aber vor allem auch darum, dass wir grüne Energie nutzen und nicht, dass wir Elektroautos mit Kohlestrom laden. Das Ziel ist nicht Elektromobilität an sich – das Ziel ist, dass wir auch im Verkehr erneuerbare Energien nutzen. Das bedeutet, dass wir einen integrierten Blick brauchen. Die erzeugte Menge erneuerbarer Energie wird stetig wachsen. Um die Übertragungsnetze nicht zu überlasten, braucht es weitere Verbrauchs- und vor allem Speichermöglichkeiten und die Elektromobilität ist dafür ein wichtiger Baustein. In anderen Ländern, wie etwa in Norwegen, Dänemark oder den Niederlanden gibt es schon deutlich mehr Elektromobilität. Wir sind in Deutschland zwar nicht Vorreiter, aber wir unterschätzen, wie schnell sich Elektromobilität auch bei uns weiterentwickeln und verankern wird. Je mehr Autohersteller auf Elektromobilität setzen, desto mehr Modelle werden auf den Markt kommen, die wiederum auf eine entsprechende Nachfrage treffen. Zudem wird es mit der Zeit günstiger sein, ein Elektroauto zu fahren als einen Verbrenner. Wir sprechen also längst nicht mehr nur von einem Produkt für First Movers oder Early Adopters.

Um diesem Wachstum gerecht zu werden, muss sich auch die Infrastruktur entsprechend entwickeln. Dazu brauchen wir neben einer flächendeckenden Schnelllade-Infrastruktur vor allem auch reguläre Ladestationen, die wir in unseren Alltag integrieren können, sodass wir immer und überall laden können: zu Hause, bei der Arbeit, am Supermarkt oder am Theater. Die Schnellladesäulen benötigen wir seltener, wenn wir mal längere Strecken zurücklegen müssen, wie zum Beispiel von Hamburg nach Berlin. Das ist passiert in der Regel nur einige Mal im Jahr.

Das Laden von Elektroautos muss außerdem flexibel und bedarfsgerecht gesteuert werden können, um die Energie effizient zu nutzen. Denn einerseits verbrauchen wir viel Strom, wenn wir etwa abends nach Hause kommen und andererseits wird Strom aber vor allem tagsüber, wenn die Sonne scheint oder nachts, wenn der Wind weht, generiert. Dafür brauchen wir ein integriertes Energie- und Mobilitätssystem, welches die vorhandene Elektrizität und den gebrauchten Strom aussteuert.

Aktuell gibt es sowohl Entwicklungen beim Schnellladegesetz als auch beim Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG). Sehen Sie letzteres als wichtiger an, weil dadurch die Lademöglichkeiten in Alltagssituationen ausgebaut wird?

Ja, die Hauptaufgabe unserer Infrastruktur wird es sein, die kurzen Strecken bis zu 50 km am Tag, die wir in der Regel fahren, abzudecken, indem wir beispielsweise während wir schlafen oder arbeiten das Auto laden, also nebenbei, dann wenn das Auto sowieso still steht.

Trotzdem brauchen wir auch Schnellladesäulen. Aktuell haben viele Menschen Bedenken, dass sie auf längeren Strecken mit ihrem Elektroauto liegen bleiben – es besteht eine Reichweitenangst. Um dieser Angst entgegenwirken und damit Menschen sich weiter Elektroautos kaufen, brauchen wir die Schnellladesäulen. Ein Mix an verschiedenen Lademöglichkeiten ist der Schlüssel zum Erfolg, um alle Anwendungsfälle abzudecken.

Woran hakt es bei der Entwicklung in Deutschland aktuell noch? Liegt das Problem darin, dass Kommunen durch hohe Auflagen und andere Hürden die Entwicklung erschweren oder mangelt es tatsächlich eher an politischem Willen auf Bundesebene? Benötigen wir für die schnelle Umsetzung innovativer Lösungen eher mehr Förderung oder einen Abbau an Bürokratie „vor Ort“?

Elektromobilität wird irgendwann genauso einfach sein wie Mobiltelefonie. Wir werden ohne Aufwand überall Strom laden und bezahlen können. Aber wie entwickeln wir eine solche Infrastruktur? Am Ende ist es Aufgabe der Städte und Gemeinden, dafür strukturierte Pläne aufzusetzen. Die Finanzierung ist hingegen eine andere Frage. Ich kann mir dafür sowohl Modelle mit Subventionen als auch ohne vorstellen. Es ist entscheidend, dass die Infrastruktur so effizient und so günstig wie möglich ist. Dafür brauchen wir eine gesunde Mischung aus öffentlichen Ladestationen an Supermärkten und auf Parkplätzen sowie Ladesäulen an der eigenen Wohnung.

Man darf dabei nicht vergessen, dass die Anforderungen hier in Deutschland auch höher als anderswo sind; sowohl in Technologiefragen als auch durch die vielen Beteiligten, die das föderale System mit sich bringt. Dadurch wird der Aufbau der Infrastruktur hierzulande etwas länger dauern und vielleicht auch ein bisschen teurer werden. Aber am Ende wird es hier genauso werden wie in Paris, Amsterdam, London oder Kopenhagen. Zudem können wir dadurch von anderen lernen und sehen, welche Erfahrungen woanders bereits gemacht wurden.

Ist die Umsetzung denn in anderen Ländern, wie in den Niederlanden oder Großbritannien durch geringere bürokratische Hürden leichter? Oder liegt es bei uns eher an einer Verantwortungsdiffusion, bei der die klare Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht eindeutig ist?

Dabei spielen zum einen genau diese Diffusion und Diskussion zwischen den Akteuren eine wichtige Rolle. Andererseits sind in Deutschland die Qualitätsanforderungen schlichtweg höher als in anderen Ländern. Das hat häufig auch den Vorteil, dass dadurch eine Benchmark geschaffen wird, der für alle Anbieter gilt. Dabei dauert die Entwicklung vielleicht länger, aber dafür haben wir am Ende einen hohen Qualitätsstandard. Nur deswegen sind etwa viele mittelständische deutsche Unternehmen Weltmarktführer in ihrem Bereich.

Es ist jedoch wichtig, sich die Entwicklungen weltweit anzuschauen: Elektromobilität ist kein First-Mover-Produkt mehr. Weltweit sinken die Kosten für Elektrofahrzeuge und steigen die Ambitionen in den Städten, konkrete Maßnahmen umzusetzen. Diese Entwicklung wird es auch hier in Deutschland geben.

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