Auch wenn die Nationale Wasserstoffstrategie nach über einem halben Jahr der Uneinigkeit vom Kabinett beschlossen wurde, hat sie zunächst nur eingeschränkte rechtliche Bindung. Auf internationaler und europäischer Ebene findet sich hierfür der Begriff des „Soft Law“. Darunter fallen Empfehlungen, Erklärungen und Stellungnahmen, die – im Gegensatz zu Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen – für die Adressaten nicht bindend sind. Auf internationaler Ebene ist das bekannteste Beispiel die Resolution der UN-Generalversammlung. Prominente Beispiele auf EU-Ebene sind die Leitlinien im Wettbewerbsrecht oder die offene Methode der Koordinierung. In Deutschland zählen Weißbücher, Strategien und Aktionspläne darunter. „Soft Law“ wird auf europäischer Ebene vor allem dann genutzt, wenn keine Einigung unter den Mitgliedstaaten möglich scheint oder die Europäische Union nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügt, eine „Hard Law“-Maßnahme zu erlassen. Mitgliedstaaten und andere Akteure können sich im Rahmen des „Soft-Law“ freiwillig verpflichten. Eine Einigung wird dadurch wahrscheinlicher, als wenn die Mitgliedsstaaten zur rechtlichen Umsetzung verpflichtet wären. Das Instrument ist flexibel und kann von der Europäischen Kommission genutzt werden, um politische Blockaden zu umgehen. Um im Strategiebild zu bleiben, also eine friedliche „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“.

Fehlende Prioritäten bremsen Umsetzung

Welche Prozesse durch Strategien angeschoben werden, kann gut an der im Januar 2017 beschlossenen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung gezeigt werden. Sie legt Maßnahmen Deutschlands zur Umsetzung der 17 Sustainable Development Goals dar, die durch 63 sogenannte Schlüsselindikatoren (meist) mit quantifizierten Zielen verbunden sind. Zudem wird, wie in der Nationalen Wasserstoffstrategie, in der Nachhaltigkeitsstrategie eine Governance in Form eines Staatssekretärausschusses definiert und die Zusammenarbeit der Gremien wie mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung festgelegt. Der Bundesrechnungshof hat allerdings auch bereits fehlende Prioritäten für die Umsetzung der Strategie sowie eine hinreichende Erfolgskontrolle kritisiert.

Parlamentsbeteiligung notwendig

Der Deutsche Bundestag ist dann gegebenenfalls durch das Instrument der Unterrichtung mit der Nationalen Wasserstoffstrategie befasst. Der schriftliche Bericht kann entweder auf Verlangen des Bundestages oder auf Eigeninitiative der Bundesregierung dem Parlament vorgelegt und dort debattiert werden. Für die rechtliche Umsetzungen des „Zukunftspaketes“ der Bundesregierung sind begleitende Gesetzgebungsverfahren vorgesehen. Bei Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist ein parlamentarischer Prozess vorgesehen. Gemäß dem Königsrecht des Parlamentes obliegt den Abgeordneten außerdem der Beschluss über die Umsetzung der Forderungen aus der Strategie in Haushaltstitel.

Die Strategie als politischer Ausgangspunkt

Für die Interessenvertretung bedeutet das, die Federführung der Einzelmaßnahmen im Auge zu behalten, um bereits auf Arbeitsebene der beteiligten Ministerien frühzeitig Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen – ohne jedoch politische Rationalitäten der Abgeordneten aus dem Auge zu verlieren. Abschließend wird auch zu beobachten sein, ob die Nationale Wasserstoffstrategie über die 19. Legislaturperiode hinaus Wirkung entfaltet und ob sich Einzelmaßnahmen in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl 2021 sowie einem anschließenden Koalitionsvertrag wiederfinden oder nicht. Die heute beschlossene Nationale Wasserstoffstrategie hat einen „Stein ins Rollen gebracht“, ohne in selbigen gemeißelt zu sein.

 

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