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Vor kurzem haben unsere Kommunikationsexperten Ralf Kunkel und Maximilian Widera in den Bernstein Perspektiven berichtet, wie sie sich Tag für Tag aufs Neue mit den Persönlichkeitsrechten ihrer Mandanten beschäftigen: https://bernstein-group.com/de/2023/05/23/was-ist-oeffentlich-was-ist-privat In Folge 2 unserer Serie befragen wir den Medienrechtler Dr. Jörn Claßen, welche persönlichkeitsrechtlichen Themen gerade besonders umstritten sind, wie sich Persönlichkeitsrecht und Presserecht in den zurückliegenden Jahren verändert haben, und warum er bei manchen Mandaten mit Kommunikationsberatern zusammenarbeitet.

Frage: Gibt es heute eigentlich mehr Verletzungen von Persönlichkeitsrechten als früher?

Claßen: Ja, die Beschwerden beim Deutschen Presserat wegen Missachtung von Persönlichkeitsrechten und journalistischen Sorgfaltspflichten haben in den letzten Jahren stark zugenommen. 2020 war das bisherige Rekordjahr mit über 4.000 Beschwerden. Auch die Löschanträge bzgl. rechtswidriger Inhalte an Provider wie Google nehmen immer weiter zu. Diese statistischen Daten decken sich mit dem, was wir in unserer Kanzlei wahrnehmen. Die Arbeit wird nicht weniger.

Frage: Machen Beschwerden beim Presserat für Betroffene von Persönlichkeitsrechtsverletzungen denn Sinn?

Claßen: Nicht wirklich. Der Presserat ist weitläufig bekannt als zahnloser Tiger. Das härteste Sanktionsmittel ist die Rüge, also der erhobene Zeigefinger. Effektivere Sanktionsmittel hält dagegen das Presserecht bereit, etwa Ansprüche auf Unterlassung und Geldentschädigung.

Frage: Gibt es zur Zeit so etwas wie den zentralen Battleground, also ein Einzelthema, einen Einzelaspekt, an dem die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit besonders heftig geführt wird?

Claßen: Bei der Verdachtsberichterstattung ist die Grundrechtskollision immer besonders heftig. Denn durch die Berichterstattung über ein mutmaßliches Fehlverhalten oder ein Strafverfahren wird das Ansehen des Betroffenen in erheblicher Weise beeinträchtigt. Dabei steht – und das ist entscheidend – nicht fest, ob an den Vorwürfen überhaupt etwas dran ist. In diesen Fällen sind Medien in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen und Zurückhaltung verpflichtet. Regelmäßige Streitfragen sind:

  • Wann ist eine Beweisgrundlage ausreichend, um berichten zu dürfen?
  • Wie konkret muss die Presseanfrage vor der Berichterstattung sein?
  • In welchen Fällen ist eine Namensnennung gerechtfertigt?
  • Wann besteht ein öffentliches Informationsinteresse an Vorwürfen, die unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit einzuordnen sind?

Durch die zunehmende Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten wird auch das öffentliche Äußerungsrecht relevanter. Denn bei vielen öffentlichen Stellen hat sich noch nicht rumgesprochen, dass diese die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für Äußerungen zu ungeklärten Vorwürfen genauso beachten müssen, wie Medien.

Frage: Was sind die größten Veränderungen in der medialen Berichterstattung der letzten Jahre?

Claßen: Das Aufspüren von Missständen, aber auch das Aufbauschen von geringen Verfehlungen zu Skandalen nimmt nach meiner Wahrnehmung zu. Hierfür habe ich folgende Erklärungen:

Gesetze wie das Hinweisgeberschutzgesetz und eine allgemeine Sensibilisierung in der Gesellschaft für bestimmte Themen stärken die Bereitschaft von Personen, Missstände nicht hinzunehmen, sondern diese öffentlich zu machen. Journalisten erhalten ihr Material in diesen Fällen frei Haus von Insidern, Whistleblowern usw. Gerade Unternehmen geraten so viel öfter in den Fokus der Öffentlichkeit.

Zusätzlich werden von Medien auch geringe Verfehlungen oder völlig substanzlose Anschuldigungen als Skandal „verkauft“. Denn (vermeintliche) Skandale interessieren die Öffentlichkeit und die knappe Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit ist heute so umkämpft wie nie.

Frage: Wann macht es aus Ihrer Sicht Sinn, einen Medienrechtler einzuschalten?

Claßen: Bestenfalls besteht der Kontakt des Unternehmens oder der Person zum Medienrechtler schon vor einem akuten Krisenfall. Wir sind bei vielen Unternehmen zum Beispiel an die Rechts- oder Kommunikationsabteilung angedockt und beraten kontinuierlich im Hintergrund zu Themen, die Reputationsrisiken bergen.

Spätestens ab Eingang einer Presseanfrage zu einem heiklen Thema sollte der Medienanwalt mit an Bord sein. In diesem Stadium kann maßgeblich Einfluss auf den Verlauf einer sich ankündigen Krise genommen werden. Der Medienanwalt kann bei frühzeitiger Hinzuziehung sogar ganz verhindern, dass z.B. Falschbehauptungen, Privatangelegenheiten oder Verdächtigungen ohne hinreichende Grundlage in die Öffentlichkeit gelangen. Das Hinzuziehen des Medienanwalts erfolgt also bestenfalls nicht erst dann, wenn es bereits eine (rechtswidrige) Berichterstattung gibt.

Frage: Wie sollte bei einer rechtswidrigen Berichterstattung vorgegangen werden:

Claßen: Schnell und effektiv, möglichst bevor sich Inhalte weiterverbreiten. Betroffene sollten daher direkt zum Spezialisten gehen. Denn auf Medien- und Presserecht spezialisierte Anwälte wissen in der Regel, bei welchen Gerichten sie die Ansprüche schnellstmöglich durchsetzen können. Sie kennen auch die richtigen Kanäle zu Google und Co., um Weiterverbreitungen zu stoppen.

Frage: Wie haben sich die Fälle durch die sozialen Medien verändert?

Claßen: In vielerlei Hinsicht. Hier nur zwei Beispiele: Journalisten werden in den sozialen Medien auf Themen aufmerksam und heben diese dann in die Berichterstattung. Genauso geht es in die andere Richtung. Eine Berichterstattung wird in den sozialen Medien diskutiert und dort weiter befeuert. Oft geht dies zulasten des Betroffenen, der dann in den sozialen Medien zur Zielscheibe von Hass und Hetze wird. Störende Online-Inhalte erscheinen zudem dauerhaft bei Suchmaschinen wie Google. Die Providerhaftung für entsprechende Inhalte spielt in der Praxis daher eine erhebliche Rolle.

Frage: Was reizt Sie besonders an Ihrem Beruf als Medienanwalt?

Claßen: Neben den sehr spannenden und sich ständig wandelnden Rechtsthemen im Medienrecht, reizt mich bei jedem Fall aufs Neue die Herausforderung, Betroffenen in teilweise existenzbedrohenden Extremsituationen zur Seite zu stehen. Man lernt dann die unverstellte Persönlichkeit und Belastungsgrenzen von Menschen kennen. Bei Unternehmensmandaten erkennt man zudem sehr schnell, wer tatsächlich etwas zu sagen hat und im Zweifel Verantwortung übernehmen würde. Diese Fälle sind auch für den Anwalt fordernd und oft sogar physisch anstrengend. Ich halte mich daher zurück, Berufseinsteiger mit einem stressfreien Arbeitsleben als Presserechtsanwalt zu locken.

Frage: Wann arbeiten Sie mit Kommunikationsberatern zusammen? Stimmt die These, dass Juristen und Kommunikationsberater einen so unterschiedlichen Blick auf die Welt haben, dass sich die Zusammenarbeit daher für Mandanten besonders bewährt?

Claßen: Gerade in Unternehmensmandaten arbeite ich regelmäßig und gerne mit der Kommunikationsabteilung oder externen Kommunikationsberatern zusammen. Das hat für den Mandanten eigentlich immer einen Mehrwert, weil jeder seine besondere Spezialisierung und sein Netzwerk mit einbringt. In jedem Krisenhandbuch sollte daher die Telefonnummer von Medienanwalt und Kommunikationsberater stehen.

Dr. Jörn Claßen ist Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienkanzlei BROST CLAẞEN. Er berät Unternehmen, Behörden, Verbände sowie Personen und bekannte Persönlichkeiten in medienrechtlichen Angelegenheiten.  Dr. Jörn Claßen ist zudem Dozent für Medienrecht und Rechtskommunikation an mehreren Hochschulen.

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