Werbebeschränkungen für Lebensmittel – Ein Blick auf das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz
Wenn es nach dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir (Bündnis90/Die Grünen) gegangen wäre, hätte Ende Mai der Entwurf eines Gesetzes für Beschränkungen bei der Lebensmittelwerbung, namentlich das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG), im Bundeskabinett beschlossen werden sollen. Die Vorlage des Entwurfs vom 27. Februar 2023 hat bis jetzt schon für viel Aufsehen und Diskussionen gesorgt, die uns vermutlich noch das restliche Jahr begleiten werden. Seit Mitte Mai 2023 liegt eine Überarbeitung des Entwurfs vor, die jedoch keineswegs zu einer Beruhigung der Diskussion geführt hat.
Im aktuellen Koalitionsvertrag haben sich die regierungsbildenden Parteien zum gemeinsamen Ziel bekannt, eine Ernährungsstrategie zu erarbeiten, die darauf ausgerichtet ist, eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung, insbesondere für Kinder, zu schaffen.[1] Teil dieser Strategie soll laut Koalitionsvertrag sein, dass es „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett – und Salzgehalt […] in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben [darf].“ Dieses Vorhaben wurde von der Verbraucherschutzministerkonferenz im Juni 2022 mit einem Beschluss bekräftigt: So soll ein Verbot für an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für Lebensmittel erarbeitet werden, wenn die Produkte nicht dem Nährstoffprofil-Modell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprächen. Auf diesen politischen Absichtserklärungen beruht der KLWG-Entwurf des BMEL.
Das KLWG – Neues Gesetz, bekannte Strukturen
Bei dem KLWG handelt es sich um ein komplett neues Gesetz. Doch weist es strukturell wie auch inhaltlich starke Parallelen zum aktuellen Tabakerzeugnisgesetz auf. So finden sich die identischen Begriffsbestimmungen in beiden Texten. In einer kommentierten Fassung des überarbeiteten KLWG-Entwurfs wird zudem dieser Querverweis zwischen beiden Gesetzen mutmaßlich durch das Ministerium selbst angestellt.
Während sich Vertreterinnen und Vertreter von Bündnis90/Die Grünen im Kontext der Diskussion proaktiv auf die Regulierung von Tabakprodukten beziehen und sich einen ähnlichen Effekt bei der Reduzierung der übergewichtigen Minderjährigen erhoffen wie bei der Reduktion der Raucherzahlen, sind die Industrie, aber auch Teile der Koalition, über den Entwurf und dessen Stoßrichtung empört.
Zum einen ist dies damit zu erklären, dass der Entwurf in seiner jetzigen Form ca. 3,3 Milliarden Euro an Bruttowerbeinvestitionen[2] beträfe. So dürfte für etwa 80 % der aktuell am Markt befindlichen Lebensmittel nicht mehr geworben werden[3]. Zudem kennt der KLWG-Entwurf ausschließlich eine Übergangsfrist für die Industrie nur bei Sponsoringaktivitäten. Für Werbemaßnahmen gäbe es solche Fristen überhaupt nicht.
Zum anderen wurde der Entwurf ohne die vorher übliche regierungsinterne Ressortabstimmung vorgestellt, sodass SPD und FDP erst über die Medien von dem konkreten Text erfuhren. Aus Verhandlungssicht ist dies clever von Minister Özdemir. So treibt er die Koalitionäre vor sich her und kann bei einem finalen Gesetz, der dem Entwurf stark ähnelt, behaupten, dass er sich gegen Industrie und politische Gegner in den eigenen Reihen durchsetzen konnte. Sollte der Entwurf im weiteren politischen Verfahren hingegen entscheidend abgeschwächt werden, so wird er darauf verweisen können, dass er und seine Partei mehr gewollt hätten; gegen die Koalitionspartner und die Lebensmittelindustrie aber nicht mehr zu holen gewesen sei. In einer Mediendemokratie keine schlechte Ausgangslage.
Dabei zielt der Entwurf in seiner Mechanik gar nicht darauf ab, dass die Werbemöglichkeiten für Lebensmittel vollständig eingeschränkt werden. Der bisher vorliegende Entwurf lässt die Möglichkeit offen, dass Lebensmittelproduzenten ihre Rezepturen so anpassen, dass sie die Produkte weiterhin uneingeschränkt bewerben dürften. Dies wäre möglich, wenn die Bedingung erfüllt wäre, dass sie den vorgeschlagenen WHO-Nährwertprofilen entsprächen.
Das politische Verfahren – Viele Akteure wollen mitsprechen
Zwar kam der erste Gesetzentwurf für die meisten im Februar 2023 zügig und überraschend, doch seitdem hakt es. Offiziell gibt es bislang keine Erklärung dazu, doch ist davon auszugehen, dass der fraktionsinterne Widerstand, aber auch die erste öffentliche Empörungswelle, jeweils einen Beitrag dazu geleistet haben. Trotzdem wurde Mitte Mai ein nahezu identischer Entwurf in die Ressortabstimmung gegeben. Zwar hatte das BMEL in einem internen Dokument einen Abschluss des gesamten Gesetzgebungsprozesses bis Ende des Jahres avisiert. Dieser ambitionierte Zeitplan wird aber nicht mehr zu halten sein.
Betrachtet man die Vielzahl der am Verfahren beteiligten Akteure, so zeigt sich, dass dieser Plan ohnehin sehr optimistisch war. Denn neben dem Bundestag und den Bundesministerien werden auch die Bundesländer und somit auch der Bundesrat ein gewichtiges Wort mitreden (wollen). Durch die geplante Beschränkung der Außenwerbung und der Werbung im Rundfunk sind die Länderkompetenzen definitiv betroffen. Bei ihnen liegt darüber hinaus die Kontrolle und somit der Erfüllungsaufwand, sodass eine Befassung in der Länderkammer nahezu unumgänglich sein wird. Dem Vernehmen nach wird der Entwurf auch schon aktuell in diversen Ausschüssen inoffiziell diskutiert.
Die bundespolitische Ausgangslage ist wie so häufig in dieser Legislaturperiode: Auf der einen Seite stehen die Grünen, auf der anderen Seite die FDP und dazwischen die SPD. Die Sozialdemokraten haben zudem auch intern keine einheitliche Position, sodass hier auch noch einiges an Aushandlungsprozessen stattfinden werden müssen.Somit ist nicht mit einer zeitnahen Einigung innerhalb der regierungstragenden Fraktionen zu rechnen. Dieser Abstimmungsprozess wird dahingehend noch verstärkt, dass schon jetzt Politiker aus allen Fachbereichen (Gesundheits-, Medien-, Sport- und auch Wirtschaftspolitiker) in den jeweiligen Fraktionen auffallendes Interesse an der Thematik haben. Zwar wird federführend der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft die Beratungen begleiten, doch werden deutlich mehr Akteure eingebunden werden wollen. Dementsprechend werden das parlamentarische Verfahren als auch die Abstimmungen zwischen den unterschiedlichen Arbeitsgruppen sehr zeit- und gesprächsintensiv werden.
Den dritten und letzten großen Akteursblock bilden die EU-Mitgliedsstaaten. Denn da das Gesetz Auswirkungen auf den EU-Binnenmarkt haben wird, muss der Entwurf bei der Kommission notifiziert werden. Mit Blick auf den mit Abstand größten Lebensmittelmarkt werden insbesondere die anderen Mitgliedsstaaten sehr genau hinschauen, um mögliche Änderungen am Entwurf herbeizuführen. Zwar werden die Einschränkungen in anderen Mitgliedstaaten wie Portugal oder Österreich als Beweise für eine rechtssichere Umsetzung angeführt. Bei näherer Betrachtung der Marktvolumen zeigt sich allerdings, dass für Deutschland deutlich mehr auf dem Spiel steht. Zur Veranschaulichung: Das kombinierte Volumen beider Märkte entspricht nicht einmal dem des polnischen Marktes, der seinerseits nur ein Drittel des Umsatzes des deutschen Marktes aufweist. Somit steht bei dem Verfahren in Deutschland deutlich mehr Umsatz auf dem Spiel, was auch zu stärkerem Gegenwind in Europa führen könnte. Andererseits hat der IMCO-Ausschuss im April 2021 in einer Abstimmung festgehalten, dass bestehende Werberegeln überarbeitet und verschärft werden müssen. Somit wird der Ausgang des Notifizierungsverfahrens einen Hinweis auf ein zukünftiges Verfahren auf europäischer Ebene zur selben Thematik geben.
Zeitliche Dimension der Diskussion – Es kann noch dauern
Betrachtet man die Sitzungspläne von Bundesrat und Bundestag sowie die Komplexität des Verfahrens und die Vielzahl der einzubindenden Akteure, die diesen Gesetzentwurf begleiten, fällt es schwer, eine Gesetzesverabschiedung noch in diesem Jahr für realistisch zu halten. In den drei Monaten zwischen dem ersten und zweiten Gesetzentwurf fanden kaum inhaltliche Änderungen statt, was auch darauf schließen lässt, dass hier die Dicke der Bretter entscheidender ist als die Geschwindigkeit, mit der sie gebohrt werden. Das deutet wiederum darauf hin, dass eine schnelle Verabschiedung auch nicht das Hauptziel des BMEL ist, sondern die Verhandlungsposition so gefestigt werden soll, dass ein möglichst großer politischer Erfolg dabei herauskommt. Inwiefern dieses Ergebnis mit einer besonders strengen Regulierung einhergehen wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das politische Verfahren zum KLWG noch in einem vergleichsweise frühen Stadium ist, aber schon jetzt viel über die unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten diskutiert wird. Es existiert eine grundlegende Unsicherheit in der Industrie, wie das politische Verfahren im Detail ablaufen und welche Foren es geben wird, um die jeweils eigene Position einbringen zu können.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie die aktuelle Unsicherheit aushalten müssen und dennoch im Sinne der langfristigen Planung verschiedene Szenarien durchplanen sollten. Um ihre Anliegen im politischen Verfahren bestmöglich zu vertreten, sind folgende drei Maßnahmen in einem ersten Schritt zu empfehlen:
- Das eigene Produktportfolio im Detail kennen: Um in einem solch umfangreichen Verfahren glaubwürdig und authentisch zu bleiben, sollte man als Unternehmen seine Positionen und Argumente möglichst gut mit dem eigenen Produktangebot verknüpfen. Wer das eigene Produktportfolio in Bezug auf das KLWG nicht kennt, übersieht potentielle Auswirkungen des Entwurfs, als auch Risiken und Chancen der eigenen Positionierung. Positionen, die sich mit dem eigenen Angebot nicht oder nur kaum decken, werden in der Regel von politischen Stakeholdern identifiziert und bringen Unternehmen meist in eine erklärungsbedürftige Situation.
- Die regionale Positionierung kennen: Für die Ansprache von politischen Entscheidern muss man sich als Unternehmen bewusst machen, wie man aufgestellt ist. Als international tätiger Konzern mit Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU kann man anders agieren als der lokal verwurzelte Mittelständer. Beides kann in einem politischen Verfahren zum Vorteil gedreht und entsprechend effektiv eingesetzt werden. Entscheidend ist, dass man sich dessen bewusst ist und seine Position strategisch einsetzt.
- Fokussierung im Verfahren: Im Beitrag ist mehrfach angeklungen, wie komplex die gesamte Thematik und das politische Verfahren sind. Die meisten Unternehmen haben nicht die Ressourcen alle Aspekte des Verfahrens zu adressieren. Da sie in den meisten Fällen nicht von allen Regelungen betroffen sind, ist dies auch nicht notwendig. Daher ist es aber umso sinnvoller, im Vorhinein individuell Schwerpunkte und somit Ziele zu definieren, um fokussiert an gewissen Vorhaben arbeiten zu können.
[1] Koalitionsvertrag 2021, S. 34 ff.
[2] Rechtsgutachten zum Thema Werbeverbote von Prof. Dr. Burgi, 26.April 2023
[3] Application of the WHO Nutrient Profile Model to products on the German market: Implications for proposed new food marketing legislation in Germany, 26. April 2023