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Berlin hat gewählt. Berlin hat „wieder“ gewählt, um genau zu sein, und es hat zugleich auch klar neu gewählt. Die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt haben das Signal gegeben, dass sie auf ein „weiter so“ gerne verzichten würden. Trotzdem ist davon auszugehen, dass es genau darauf hinauslaufen wird. Wie kann das sein?

CDU gewinnt, Koalition wird abgestraft

Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge liegt die CDU bei 28,2% der Stimmen – 10% mehr als 2021 und fast 10% vor der SPD (18,4%). Letztere liegt mit 105 Stimmen nur sehr knapp vor Bündnis 90/Die Grünen (ebenfalls 18,4%). Die Linke ist bei 12,2% und die AfD bei 9,1%.

Quelle: infratest dimap, ARD BerlinTREND

Die FDP hat mit 4,6% die Hürde nicht nehmen können und zieht nicht mehr ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Im Vergleich zu den 7,1% bei der Wahl 2021 ist das ein herber Rückschlag, der einige Fragen aufwirft. Die Ampel scheint den Liberalen nicht gut zu bekommen. Berlin ist nun die fünfte Wahl, in der die FDP abgestraft wird. Auch im Saarland und in Niedersachsen wurde der Einzug in den Landtag verpasst, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wurde man aus der Regierungsverantwortung entlassen. Dazu meint ein enttäuschter FDP-Insider: „In Berlin ist außer in Mitte fast alles schwarz. Wenn wir nicht aufhören, die Republik mit der Brille und Resonanz aus Berlin Mitte zu sehen, werden wir auch auf der Bundesebene abgestraft werden. Denn niemand braucht eine liberale Partei, die zu Gunsten der Gefallsucht einer linken „Medien-Bubble“ lieber auf den Mut verzichtet, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen zu kritisieren. Ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft hat es satt, erzogen zu werden.“

Auch bei den Direktmandaten geht die Tendenz zur CDU: 2021 hatte diese noch 21 Wahlkreise direkt gewonnen, jetzt sind es 48. Gleichzeitig konnte die SPD von ehemals 25 Direktmandaten nur noch vier halten. Auch die ehemalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey verlor ihr Direktmandat an die CDU.

Was auffällt, ist die lokale Verteilung der Stimmen: war es früher noch die Ost/West-Grenze (West: CDU/SPD, Ost: Die Linke), welche die Berlin-Wahlen dominierte, sind es nun die Außenbezirke (CDU) gegen die Innenbezirke (SPD/Grüne), die den Unterschied machen.

Die CDU erhebt den Anspruch auf die Regierungsbildung für sich. Auch Giffey erkennt den Sieg der CDU an, will aber trotzdem weiterregieren und ein Regierungsbündnis unter SPD-Führung bilden. Auch Bettina Jarasch (Bündnis 90 / Die Grünen) möchte eine Fortsetzung der bisherigen Koalition, allerdings unter grüner Führung. Für rot-grün-rot (in welcher Reihenfolge auch immer) gäbe es eine klare und stabile Mehrheit.

Eine schwarz-rote Koalition wäre rechnerisch genauso möglich, wie eine schwarz-grüne. Jedoch scheint eine Überbrückung der Differenzen mit der CDU unmöglich. Themen wie Integration, Wohnungsmarkt und Verkehr werden hier als unvereinbar angesehen. Interessanterweise hat eine Umfrage von Civey ergeben, dass es der CDU am ehesten zugetraut wird, die wichtigsten Probleme in Berlin zu lösen.

Quelle: Civey

Trotzdem wird man sich in Berlin bei diesen Themen mit der CDU nicht einig werden.

Wieso soll ausgerechnet in der Hauptstadt nicht gehen, was in anderen Bundesländern funktioniert?

Gegen die tiefen Gräben zwischen CDU und den möglichen Koalitionspartnern, die es zu überwinden gibt, wird das Argument, die Koalition wäre abgewählt worden, nur schwer ankommen können. Denn: In einem System, in dem eine Koalitionsbildung unumgänglich ist, reich es nicht aus, eine Wahl zu gewinnen – es kommt auch auf die Bündnisfähigkeit an.

Unterschiedliche Werte

Zu behaupten, die CDU habe sich zu viele Türen verschlossen, wäre zu einfach. Es spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Tatsächlich allerdings haben sich die Parteien vor – aber auch während – des Wahlkampfes intensiv gezofft. Streitthemen waren vor allem die Verkehrspolitik, aber auch das Thema Integration hat zu großen – und scheinbar unüberbrückbaren – Spannungen geführt. Die teilweise harten Debatten um die Vorfälle in der Silvesternacht sorgten für Zerwürfnisse und die potenziellen Koalitionspartner sehen darin offensichtlich eine Rechtsentwicklung in der CDU, die mit den eigenen Werten nicht zu vereinbaren ist.

Strategischer Vorteil

Ganz so simpel ist es aber auch bei der SPD nicht. Denn während die Basis der Berliner Sozialdemokraten im Großen und Ganzen linksgerichtet ist, hat die Regierende Bürgermeisterin andere Vorstellungen. Schon nach der Wahl 2021 wollte sie statt mit der Linken lieber mit der FDP koalieren. In Berlin gab und gibt es einige kritische Themen, an denen Koalitionsverhandlungen – jeder Couleur – scheitern könnten. Bei der Verkehrspolitik zum Beispiel sind sich SPD und Grüne nicht einig – hier hätte die SPD von einem Koalitionspartner wie der FDP (oder auch der CDU) profitieren können. Dieser Plan wurde aber durch das Veto der Grünen und vor allem auch durch starken Widerstand in der eigenen Partei unterbunden. So ging Giffey die rot-grün-rote Koalition ein. Auch jetzt wird eine Koalition mit der CDU durch die Basis der Berliner SPD scheitern.

Denn in Berlin haben SPD und Grüne einen strategischen Vorteil: Sowohl bei der Berliner SPD als auch bei den Berliner Grünen dominieren mehrheitlich die linken Flügel der Parteien. So sehen sich beide eher in der Lage, mit der Linkspartei zu koalieren als mit der CDU. Gleichzeitig kommt für die CDU aus nachvollziehbaren Gründen eine AfD als Koalitionspartner nicht in Frage. Wenn nun also auch die FDP als möglicher Partner wegfällt – so wie es jetzt der Fall ist – steht die CDU im linksgeprägten Berlin sehr isoliert da.

Wieso unterwerfen, wenn man auch bestimmen kann?

Abseits der eher linken Ausrichtung der Berliner SPD und der zuletzt antagonistischen Positionen der Berliner CDU stellt sich für die SPD natürlich ganz grundsätzlich die Frage, warum sie sich mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben soll, wenn sie weiterhin mit Grünen und Linken die führende Koalitionspartei stellen kann. Selbst wenn Franziska Giffey eine Große Koalition eingehen wollen würde, wäre dies bei der Basis kaum durchzusetzen.

Fazit

Durch den Wegfall der FDP als möglichen Koalitionspartner sitzt die CDU trotz Wahlgewinn an der kürzeren Leine. Aufgrund der immer größer werdenden politischen Distanz zu den in Berlin stark links-dominierten SPD und Grünen und die tatsächlich vorhandene Mehrheit der bisherigen Koalition, wird es für Kai Wegner schier unmöglich werden, seinen Erdrutschsieg auch in eine Koalitionsbildung umzuwandeln. Die eigentlichen Gewinner der Wahl werden die Verlierer sein.

In einem Bundesland, in dem man garantiert auf inhaltlich abweichende Koalitionspartner angewiesen sein wird, ist die Frage der Abwägung der eigenen Bündnisfähigkeit noch schwerwiegender zu gewichten als anderswo.