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Die Vor- und Nachteile des Föderalismus am Beispiel der Reerdigung

In einem Büro in Berlin-Neukölln kämpft ein kleines Startup um eine Vision, die für uns alle relevant ist, die aber noch nicht deutschlandweit durchgeführt werden darf: Das Unternehmen Meine Erde bietet eine alternative, nachhaltige Bestattungsform an, bei welcher der Körper auf ganz natürlich Art und Weise innerhalb von vierzig Tagen zu Erde wird.

Pablo Metz, Mitbegründer des Unternehmens, erklärt die Methode: „Der Körper wird in einem überirdischen Kokon vierzig Tage lang auf ein Bett von Stroh und Blumen gebettet. Dieser Sarg ist isoliert und luft- und feuchtigkeitsgesteuert, was eine Optimierung der Verhältnisse zulässt. Er befindet sich auch nicht wie bei der klassischen Erdbestattung zwei Meter unter dem Boden, wo der fehlende Sauerstoff den Prozess verlangsamt. Letztendlich werden im Kokon tropische Verhältnisse hergestellt. Dies führt zu einer beschleunigten Verwesung.“ Dabei entsteht wertvolle Erde und man bleibt als ebendiese im Kreislauf des Lebens erhalten. Die Erde wird – gleich einer Erdbestattung – in einem Grab beigesetzt.

Wie kommt man auf diese Geschäftsidee? Pablo Metz erzählt von seinen Kindern, die von den Fridays For Future Demos nach Hause kamen und meinten, er solle „etwas Vernünftiges“ machen. „Wenn man mit diesen Jugendlichen spricht, versteht man, wie viel Angst und Druck sie aufgrund der Klimakrise verspüren.“ Die Grundlage war Pablo Metz klar: Wir müssen aufhören, Kohlenstoffe zu verbrennen und fossile Brennstoffe zu nutzen. Als Betriebswirt hat er sich überlegt, wo ein Hebel zu finden ist, der eine möglichst große Wirkung erzielt, einfach ist und kulturell zu uns passt. Unabhängig davon habe er mit seiner Großmutter über ihr Lebensende gesprochen. Diese erklärte ihm, dass sie sich mit keiner der beiden in Deutschland zugelassenen Bestattungsalternativen wirklich anfreunden könne. „Erst da habe ich realisiert, dass es bei uns in einer Sache, die alle berührt, nur zwei Alternativen gibt. Dazu kommt, dass die neuere der beiden Methoden 150 Jahre alt ist. Dass die nicht mehr die Fragen von heute beantwortet, erklärt sich von selbst. Wir sind mehr Menschen, wir haben andere Umweltprobleme, wir sind auch im Mindset anders als damals.“ Dann habe er gelernt, dass sich 80 % der Menschen feuerbestatten lassen – ein Prozess, bei dem sehr viel Erdgas verbraucht wird, von den meisten Menschen nicht als schön empfunden wird, der aber die kostengünstigere Variante ist. „Das heißt, sie treffen eine rationale Entscheidung, obwohl sie in diesem Schritt eigentlich rein emotional getrieben sein sollten. So kam das eine zum anderen. Es ist nicht nur ein weiteres Produkt, das wir auf den Markt bringen, sondern es ist ein Wandel unserer Kultur, ohne diese zu verraten.“

„Eine Organspende für die Natur“

Dass diese Aussage zutrifft, zeigen die vielen Unterstützer der Reerdigung. Alle relevanten zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlich beteiligten Akteure haben sich bereits für die Reerdigung ausgesprochen. Die beiden großen christlichen Kirchen und Würdenträger, Paritäts- und Wohlfahrtsverbände, diverse Friedhofsträger oder Bestatter und deren Vereinigungen wünschen sich die Reerdigung als echte Alternative. Sie soll die Bestattungs- und Friedhofskultur behutsam und klimabewusst weiterentwickeln, ohne Traditionen oder rechtlichen Vorgaben zu widersprechen.

Das Geschäftskonzept geht auf – das zeigt der Umfang an Anfragen, die täglich bei Meine Erde eingehen. Nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa und darüber hinaus.  Pablo Metz: „Wir reden mehr über das Leben als über den Tod. Das verbinden die Menschen mit der Reerdigung. Der Körper geht zurück in den Kreislauf der Natur und gleichzeitig tut man etwas Gutes für die Welt. Jemand meinte, es sei wie eine Organspende für die Natur.“

Die Reerdigung ist also eine schöne, würdevolle, kostengünstige und nachhaltige Bestattungsalternative, erfreut sich großer Nachfrage, wird durch die relevanten Organisationen und Branchen unterstützt und kann durch seine Methode als eine erneuerte Variation der bereits existierenden Erdbestattung interpretiert werden. Wieso wird sie dann erst in zwei der sechzehn Bundesländer angeboten?

Föderalismus – Fluch oder Segen?

Die vereinfachte Antwort: Es liegt am Föderalismus. Diese Machtaufteilung ist in Deutschland im Grundgesetz festgelegt und durch die Ewigkeitsklausel geschützt.

Der Föderalismus bringt, wie jede andere Staatsform auch, Vor- und Nachteile mit sich. So können die Bundesländer über den Bundesrat die Gesetzgebung der Bundesrepublik mitgestalten. Gleichzeitig wird durch die Machtverteilung Missbrauch verhindert, da die Ebenen sich gegenseitig überprüfen.

Durch den Föderalismus entstehen aber auch teilweise erhebliche politische und rechtliche Unterschiede zwischen den Ländern. Gerade während der Corona-Pandemie war erkennbar, wie unterschiedlich Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durch die Länder umgesetzt wurden. In Krisenzeiten, wenn schnell und einheitlich agiert werden muss, stößt der träge Föderalismus an seine Grenzen. So auch bei der Einführung einer neuen Bestattungsform.

„Ländersache“

In Deutschland ist das Bestattungsrecht eine sogenannte „Ländersache“. Das heißt, es gibt sechzehn Bestattungsgesetze und damit sechzehn Landesparlamente und Landesregierungen, die über eine mögliche Einführung der Reerdigung jeweils einzeln entscheiden müssen.

Die Friedhofs- und Bestattungsgesetze regeln alles, was für eine würdevolle, sowie für Mensch und Umwelt ungefährliche Bestattung notwendig ist. Auch kriminalrechtliche Fragen spielen eine Rolle. Die Frage der Pietät wird auch unabhängig davon durch die Bevölkerung und andere moralisch-ethische Instanzen beantwortet, von denen die Reerdigung bereits überwiegend unterstützt wird. Entsprechend geht es noch um die Fragen zu Risiken für Mensch oder Umwelt. Um diese zu beantworten, führt Meine Erde Analysen von Luft und Boden durch und kann so nachweisen, dass beim Prozess der Reerdigung keine Gefahrenstoffe entstehen. Die Frage nach der zweiten Leichenschau kann wie bei der Feuerbestattung gehandhabt werden. Die grundlegenden Punkte der Bestattungsgesetze sind somit beantwortet.

Muss man für die Reerdigung die bestehenden Gesetze nun abändern oder passt sie bereits in deren Rahmen? Es gibt verschiedene Arten ein Gesetz zu lesen. Historisch – was wurde von den Verfassern zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigt? Grammatikalisch – was steht wortwörtlich im Text? Oder man kann es teleologisch lesen – wie wäre das Gesetz zu verstehen, wäre es mit unserem aktuellen Wissensstand geschrieben worden?

Streng historisch oder grammatikalisch interpretiert, ist eine neue, dritte Form der Bestattung gemäß den bestehenden Gesetzestexten auszuschließen. Wenn man sie jedoch teleologisch auslegt, wäre die Reerdigung möglich, da sie sich an die Gesetze hält. „Das wurde von verschiedenen Experten bestätigt und diese Meinung ist juristisch vertretbar“, so Metz. Der Gesetzgeber kann sich also an die Interpretationsweise halten, die er wählt. Metz weiter: „Das kann auch politisch motiviert sein.“

Als erstes Bundesland hat Schleswig-Holstein die Frage der Reerdigung mit verschiedenen Fachleuten geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass sie im Rahmen des bestehenden Gesetzes möglich ist. Da auch der politische Wille vorhanden war, konnte ein erstes Pilotprojekt umgesetzt werden.

Der langwierigere Weg ist eine Gesetzesänderung. Das funktioniert oft über eine Novelle. In diesem Fall muss frühzeitig darauf geachtet werden, dass alle Fragen rechtzeitig beantwortet wurden und der politische Wille vorhanden ist.

Politisch betrachtet sollte die Reerdigung alle politischen Lager ansprechen. Sie ist ökologisch, (markt)liberal und wird von den Kirchen unterstützt. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass eine Partei die Reerdigung in einem Bundesland unterstützt, während sie in einem anderen noch zögert. An dieser Stelle hilft der länderübergreifende Austausch zwischen den Parteien und Fachreferaten der Landesregierungen. Pablo Metz: „Ich glaube, es läuft am Ende darauf hinaus, was die Entscheidungsträger davon haben, ein spezifisches Projekt zu unterstützen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es darauf eine gute Antwort gibt. Denn gerade mit der Reerdigung hat man ein fraktionsübergreifendes Thema, das die breite Bevölkerung anspricht. Manchmal habe ich aber das Gefühl, man wird nur aktiv, wenn das Signal von ganz oben kommt.“ Denn natürlich gibt es auch Kritiker – das verunsichert. Hier wünscht sich Pablo Metz, dass sich nicht nur länderübergreifend untereinander ausgetauscht wird, sondern dass man bei Fragen auch direkt auf die Experten von Meine Erde zukommt. Im föderalen Deutschland bedeutet das wiederum, sechzehnmal Überzeugungsarbeit leisten zu müssen.

Ist der Föderalismus innovationshemmend?

 „Natürlich würde ich mir wünschen, dass es einen offenen und innovativen ‚Bestattungsminister‘ gäbe, der die Reerdigung bundesweit einführen würde“, so Metz. „Es gibt gute Gründe für den Föderalismus, aber für das Durchsetzen neuer Themen macht es das System viel langsamer, komplizierter und bremst Innovation aus. Wenn man aus deutscher Sicht auf die innovativsten Länder Europas schaut, dann sind das eher nicht die Föderalstaaten.“ Hier bestünde die Gefahr, dass eine einmalige Ablehnung endgültig und bundesweit gilt, während man im föderalen System bei einer Absage eines Bundeslandes noch auf fünfzehn weitere hoffen kann. Metz kontert: „Wenn man aber davon überzeugt ist, dass es keinen Grund für eine Ablehnung gibt, weil die Menschen sich die Reerdigung wünschen, sie legal und gut durchführbar ist, dann ist ein zentraler Entscheider die schnellere Option.“

Andererseits kann man jedoch auch dagegenhalten, dass es dank der föderalen Struktur zumindest in einzelnen Ländern schneller vorangeht. Zum Beispiel weil bestimmte Bundesländer damit einen gewissen Innovationsgeist demonstrieren möchten. In diesem Sinne hat es auch der Reerdigung geholfen, dass Schleswig-Holstein experimentierfreudig war und nicht auf die anderen Länder gewartet hat. Auch hier liegt ein Vorteil im Föderalismus. Denn die Entscheidung eines Bundeslandes für die Reerdigung kann ein Anstoß für andere Bundesländer sein, nachzuziehen. Dank des föderalen Systems bestehen dann Strukturen vor Ort, welche die Umsetzung besser unterstützen können als es in einem Zentralstaat der Fall wäre. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass einzelne Bundesländer als Testmarkt für eine Skalierung langfristig zu klein sind. Um für Investoren interessant zu werden, müssen schnell weitere Bundesländer folgen.

Fazit

Anhand der Bemühungen, die Reerdigung deutschlandweit anbieten und durchführen zu können, kann man die Vor- und Nachteile des Föderalismus gut aufzeichnen. Bestimmt würde ein Zentralstaat schnellere und einheitlichere Entscheidungen ermöglichen, was der Bundesrepublik in Sachen Innovationsfreudigkeit ohne Frage guttun würde. Dem muss jedoch gegenübergestellt werden, dass der Föderalismus in dieser Hinsicht auch förderlich sein kann, wenn einzelne Bundesländer neue Ideen vorantreiben.

Ein zentrales System würde auch der Vielfältigkeit des Landes nicht gerecht. Der Föderalismus stellt sicher, dass regionale Bereiche auch regional behandelt werden, weil Entscheidungsträger auf unterschiedliche Anforderungen in den Bundesländern eingehen können. Es vereinfacht politisches Engagement, denn Entscheidungen werden nicht nur im fernen Berlin gefällt, sondern in unmittelbarer Bürgernähe. Für eine Demokratie kann das nur gewinnbringend sein.

 

Disclaimer: Meine Erde wird von der Bernstein Public Policy politisch beraten.