„Beat the System by using the System“ – Nach diesem Motto kauft das Non-For-Profit ForTomorrow Emissionszertifikate auf, um den EU-Emissionshandel zu beschleunigen. Mit der Gründerin Ruth von Heusinger haben wir über Emissionshandel in Zeiten der Energiekrise und Erwartungen an die aktuelle Reform gesprochen.
Sehr geehrte Frau von Heusinger, mit Ihrer Non-for-Profit Organisation „ForTomorrow“ engagieren Sie sich stark im Europäischen Emissionshandel. Können Sie einmal kurz erklären, wie dieser Handel funktioniert und warum es für Sie ein so effektives Tool ist?
Der Emissionshandel ist das offizielle Klimaschutz-Tool der Europäischen Union. Alle großen CO2-Emittenten in der EU müssen teilnehmen – zum Beispiel Kohlekraftwerke oder große Industrieanlagen. Für jede Tonne CO2, die ein Emittent ausstoßen möchte, braucht es ein Emissionsrecht. Legt ein CO2-Emittent dieses CO2-Zertifikat jährlich nicht vor, werden hohe Strafen fällig und die Emissionsrechte müssen nachgereicht werden. Die Emissionsrechte werden von den jeweiligen Regierungen regelmäßig versteigert. Die Gesamtanzahl der verfügbaren Emissionsrechte ist durch die EU festgelegt und wird jedes Jahr reduziert. Dieser Mechanismus heißt Cap & Trade. Dadurch wird die Wirtschaft gezwungen, jedes Jahr weniger CO2 auszustoßen. 2050 soll das Emissionshandelssystem schließlich dazu führen, dass die EU CO2-neutral wirtschaftet.
Die Zahlen zeigen klar: Wo der Emissionshandel greift, sinken die CO2-Emissionen. Der Emissionshandel funktioniert – nur leider zu langsam. Nicht erst seit dem letzten IPCC-Bericht wissen wir, uns bleibt wenig Zeit, um CO2-neutral zu werden. Mit ForTomorrow kaufen wir ebenfalls Emissionsrechte und legen diese ungenutzt still. Dadurch senken wir schon jetzt die Gesamtmenge an CO2, welche die Industrie ausstoßen darf in der EU. Dadurch steigt der Preis der verbleibenden Emissionsrechte im Markt, und der Anreiz zur Dekarbonisierung steigt. Dabei folgen wir dem Motto: „Beat the system by using the System!“ Unser Ziel ist, die EU klimaneutral zu machen vor 2040.
Der Emissionshandel ist gut erprobt, gilt bereits für viele Schlüsselindustrien und erfasst aktuell ca. 40 % der anfallenden Emissionen in der EU – das macht ihn so mächtig. Vor allem können wir über den Emissionshandel CO2-Emissionen dort reduzieren, wo sie entstehen – bei uns in Europa.
Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine werden wieder vermehrt fossile Energieträger zur Energieerzeugung verbrannt. Wie wirkt sich der Angriffskrieg auf die Ukraine, die damit einhergehende Energiekrise und Engpässe beim Import von fossilen Energieträgern auf ihre Arbeit aus?
Diese Fragen beantworte ich am besten auf zwei Wegen. Wenn kurzfristig die Preise für Emissionsrechte schwanken, hat dies keinen Einfluss auf die Gesamtemissionen, die über das Cap beschränkt werden. Der Emissionshandel funktioniert über Angebot und Nachfrage. Preisschwankungen sind normal. So haben Unternehmen zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 weniger CO2 ausgestoßen und der Preis für Emissionsrechte sank. Es wird dann kurzfristig günstiger, CO2 auszustoßen. Doch das Cap bleibt bestehen und damit ist langfristig gesichert, dass die CO2-Emissionen der EU sinken. Das Cap & Trade-System ist durch eine Pilotphase von 2005 bis 2007 erprobt und wird seitdem stetig verbessert. Durch die stetige Verknappung der Emissionsrechte ist im langfristigen Trend eine Preissteigerung zu sehen. Im März 2020 lag der Preis bei 20 € pro Tonne und ist dann auf zeitweise fast 100 € pro Tonne gestiegen. Es wird für Unternehmen immer teurer, CO2 auszustoßen und profitabler, beispielsweise Stahl „grün“, also mit geringerem CO2-Ausstoß zu produzieren. Das ETS-System ist also auch in Krisenzeiten robust.
Für unsere Abonnent:innen heißen Preisanstiege, dass es teurer wird, seinen CO2-Ausstoß über Emissionsrechte zu kompensieren. Wir kommunizieren jederzeit transparent, wie sich der Markt entwickelt. Steigt der Preis für Emissionsrechte, können alle selbst entscheiden, ob sie die gleiche Menge an CO2 monatlich weiter kompensieren. Oder, ob sie die Menge reduzieren möchten und weiter monatlich den gleichen Betrag spenden. Unsere Abo-Preise versuchen wir über längere Zeiträume konstant zu halten. Wir kaufen dazu eine größere Menge an Emissionsrechten zu günstigen Zeitpunkten ein. Im nächsten Schritt prognostizieren wir, wie sich der CO2-Preis über das Jahr entwickelt. Bislang mussten wir unsere Preise nur einmal pro Jahr anpassen.
Kurz vor der Sommerpause hat das Europäische Parlament angekündigt, den Handel mit Emissionszertifikaten zu reformieren. Im aktuellen Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung zu einer Ausweitung des Handels auf weitere Industrien. Was sind ihre drei Wünsche an die Politik für die anstehenden Reformen und wo sehen Sie den größten Reformbedarf?
Die Politik sollte die richtigen Rahmenbedingungen setzen und die Externalisierung von Klimakosten verhindern. Der Emissionshandel ist bereits ein wirkungsvolles System. Im Industrie-, Strom- und Luftfahrtsektor müssen alle großen CO2-Emittenten in der EU teilnehmen. Die Menge der Emissionsrechte ist von der EU beschränkt und wird stets weniger. Doch für das 1,5 Grad Ziel müsste die Politik diese Menge noch schneller drosseln. Und sie müsste den Emissionshandel auf weitere Sektoren ausweiten, damit der gesamte CO2-Ausstoß der EU abgedeckt wird. In den Sektoren, die noch nicht vom Emissionshandel abgedeckt sind, sind die Emissionen teils sogar gestiegen, anstatt zu sinken.
Kurz gesagt, meine drei Wünsche sind:
- Alle Sektoren der EU müssen verpflichtend am Emissionshandel teilnehmen.
- Das Cap wird so weit gesenkt, dass die noch zu versteigernden Emissionsrechte dem 1,5 Grad Budget der EU entsprechen.
- Der Carbon Border Adjustment Mechanismus wird eingeführt. Auf Importe müssen CO2-Kosten gezahlt werden. So, als wären sie in der EU hergestellt worden.
Neben dem Kauf von CO2-Zertifikaten ist For Tomorrow auch in der Aufforstung von Wäldern aktiv. Wie schaut die Organisation und dessen Partner auf das nun vorliegende Aktionsprogramm ‘Natürlicher Klimaschutz’? Welche politischen Impulse erhoffen Sie sich und was fehlt vielleicht auch noch?
Es ist gut, dass der Fokus auf einer Stärkung der natürlichen Senken liegt. Momentan haben wir eine CO2-Konzentration von über 410 ppm in der Atmosphäre. Für die Beschränkung auf 1,5 Grad müssen wir diesen Wert langfristig senken auf rund 350 ppm. Das schaffen wir nur, wenn wir CO2 aus der Luft holen – genau dabei leisten natürliche CO2-Senken einen wichtigen Beitrag.
Mit ForTomorrow wünschen wir uns, dass Erstaufforstungen schneller genehmigt werden. Also, dass wir schneller neue Waldflächen schaffen können. Was fehlt, ist auch eine erweiterte Nutzungsmöglichkeit der Erträge des Waldes. In den Niederlanden gibt es z. B. Esswälder, die Nahrungsmittel liefern. In Deutschland ist dies aufgrund der Regularien leider nicht in diesem Umfang möglich. Auch müssen die Hilfen für Waldumbau angesichts des stark voranschreitenden Klimawandels sehr schnell erfolgen. Hier ist Bürokratieabbau und Digitalisierung sehr wichtig.
Non-for-Profit Organisationen wie ForTomorrow nehmen eine immer größere Rolle ein zwischen den klassischen Polen Wirtschaft und Politik. Wie nehmen Sie diese Entwicklung war und was wünschen Sie sich von der Politik, um die Arbeit von Non-for Profits noch effektiver zu gestalten?
Mit den Maßnahmen, die aktuell von der Politik vorgelegt werden, halten wir die Klimaziele nicht ein. Gleichzeitig merken wir in Deutschland immer stärker die Auswirkungen des Klimawandels. Es geht um unsere Zukunft. Darum werden Menschen über ForTomorrow aktiv, um Klimaschutz selbst in die Hand zu nehmen. Über Non-Profit-Organisationen können Lösungen oft einfacher und schneller umgesetzt werden. Auch sogenannte ‘gesellschaftliche Kippmechanismen’ werden durch Non-Profits vorangetrieben. Faktoren, die dazu beitragen, schnelle sozio-ökonomische Veränderungen anzustoßen. Non-Profits helfen dabei, Klimaschutz als gesellschaftliche Norm zu etablieren. Wir würden uns freuen, wenn die Expertise der Non-Profit-Organisationen stärker in politische Prozesse eingebunden wird. Wir haben alle das gleiche Ziel. Nämlich langfristige unsere Lebensgrundlage zu schützen.