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In Deutschland ist es der größte Prozess des Jahres: Seit wenigen Wochen verhandelt das Oberlandesgericht Braunschweig die erste Musterfeststellungsklage in der Geschichte der Bundesrepublik. Beklagter ist der Automobilkonzern VW, Kläger sind zwei Verbände: der ADAC sowie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Gemeinsam vertreten sie die Interessen von rund 487.000 Autofahrern, die sich von VW im Rahmen des Abgasskandals hinters Licht geführt fühlen.

Unabhängig vom Prozessausmaß ist die Verhandlung dabei auch ein historischer Moment für den vzbv. Auch wenn die Klage als „Lex VW“ in die Geschichte eingeht, ist sie doch vor allem vom vzbv vorangetrieben worden. Die Bedeutung des Verbraucherverbandes nimmt damit weiter zu. Umso mehr lohnt sich ein genauerer Blick auf diese in Deutschland einzigartige Institution.

Der vzbv wurde unter der rot-grünen Koalition Ende der 1990er-Jahre ins Leben gerufen. Die aktuelle Organisationsstruktur ging aus dem Zusammenschluss der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV), des Verbraucherschutzvereins (VSV) und der Stiftung Verbraucherinstitut hervor. Heute finanziert sich der vzbv aus drei großen Finanzquellen:

  • Als Träger verschiedener Projekte erhält der vzbv gebundene Subventionen von verschiedenen Bundesbehörden.
  • Die zweite Quelle sind Mitgliedsbeiträge, Erstattungen und Prozesskostenerstattungen, die an den Bundesverband entrichtet werden.
  • Die dritte und wichtigste Säule des vzbv ist die finanzielle Förderung aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV): 2019 betrugen die Zuwendungen für den institutionellen Haushalt (z.B. Gehälter festangestellte Mitarbeiter, Büroausstattung etc.) rund 13 Millionen Euro, was einer Finanzierungsquote des vzbv durch das Ministerium von etwa 97 Prozent entspricht.

Verkürzt gesagt: Das BMJV – ausgestattet mit eigener, umfassender Abteilung für Verbraucherschutz – finanziert mit dem vzbv eine Organisation, die sich als Interessenvertreter für Verbraucherfragen politisch engagiert und parallel fast-hoheitliche Aufgaben für das Ministerium übernimmt, etwa die Marktwächterfunktion.

Aus diesen Zusammenhängen lassen sich zwei zentrale Beobachtungen ableiten:

  1. Neue Aufgaben sichern Aufgaben

Der vzbv hat in den vergangenen Jahren durch Projekte wie den verschiedenen Marktwächter-Initiativen und der Befugnis zur Klage im Rahmen der Musterfeststellungsklage weitere Kompetenzen und Aufgaben dazugewonnen. Diese neuen Aufgaben sichern das Fortbestehen der Organisation und garantiert ihren Einfluss. Da der vzbv flachere Hierarchiestrukturen als das BMJV hat, kann er deutlich agiler und schneller reagieren und arbeiten. So hat der vzbv lange für die Einführung der Musterfeststellungsklage geworben und sie am Ende mit durchgesetzt. Als eine der klageberechtigten Institutionen wurde der Etat des vzbv für die Durchführung solcher Klagen durch das BMJV signifikant angehoben und die Legitimation der Einrichtung weiter gestärkt.

  1. Agenda-Setting unabhängig vom politischen Akteur

Der vzbv hat eine lange Tradition als Themensetzer in der politischen Debatte. So veröffentlicht er seit Jahren Kontrollprüfsteine zu Wahlen, forderte erfolgreich die Schaffung eines eigenen Bundesressorts für Verbraucherschutz und diskutiert auf seiner Verbraucherschutztagung mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Herausforderungen und das Verbesserungspotenzial in der Verbraucherschutzpolitik. Obwohl die Finanzierung zu großen Teilen aus öffentlichen Geldern stammt, kritisiert der vzbv regelmäßig die Politik und fordert sie auf, sich noch stärker für Verbraucherschutz zu engagieren, wie sich auch an seinen Verlautbarungen ablesen lässt: Allein in den jüngsten zehn Pressemitteilungen des Verbandes finden sich acht Forderungen an die politischen Entscheider.

 Beide Beobachtungen legen zwei Schlussfolgerungen nahe:

  • Der vzbv schafft es mit seiner Themensetzung, geschickt neue Anliegen und Ideen in die Öffentlichkeit zu transportieren und dadurch neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu generieren.
  • Durch den Aufbau des vzbv als eigenständigen Akteur kann er sowohl vergleichsweise kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen reagieren und unabhängig von den aktuellen politischen Mehrheiten auch die politischen Entscheider kritisieren.

Auch beim Beispiel vzbv gilt: Organisationen versuchen sich ihre Aufgaben selbst zu schaffen, um sich zu erhalten und die eigenen Mittel auszubauen. Gleichzeitig hat sich der vzbv so im politischen Spektrum positioniert, dass die Politik sehr gern Aufgaben direkt an ihn weitergibt — nicht zuletzt, weil sie die eigenen Ressourcen oder Fachkenntnisse erst langwierig aufbauen müsste. So wurde im Koalitionsvertrag 2013 zwischen Union und SPD beschlossen „die bestehenden Verbraucherorganisationen“ mit einer Marktwächterfunktion für die Bereiche Finanzmarkt und Digitale Welt auszustatten. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass die Finanzierung für diese Einrichtung zu verstetigen und auf eine eindeutige rechtliche Grundlage zu stellen sei.

Allerdings zeigen die aktuellen Entwicklungen um die Marktwächter, dass das BMJV weiterhin am längeren Hebel sitzt. Anfang Oktober ist bekannt geworden, dass die Bundesregierung plant, im kommenden Bundeshaushalt die Mittel für die Stellen um 3 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro zu kürzen. Zwischenzeitlich hatte der vzbv geplant, sogar eine Aufstockung der Mittel auf 15 Millionen Euro zu beantragen.