Durch die Bundestagswahl im September 2021 haben sich auch die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag verschoben. Mit dieser Veränderung gehen neue Rollen der Fraktionen einher. Während die CDU/CSU-Fraktion sich erstmals seit den Wahlen 2002 in der Opposition wiedergefunden hat, sind die Grünen seit der Wahl 2005 erstmals wieder eine regierungstragende Fraktion. Nach etwa sieben Monaten Ampel-Koalition und mit Beginn der parlamentarischen Sommerpause ist es an der Zeit, zu analysieren, inwiefern die CDU/CSU- Fraktion schon in ihrer neuen Rolle angekommen ist und wie effektiv die auf Bundesebene erstmalig gebildete Ampelkoalition arbeitet.

Die Union in ihrer neuen Oppositionsrolle

Ob die CDU/CSU-Fraktion in ihrer neuen Oppositionsrolle angekommen ist, können schlussendlich nur die Akteure selbst beantworten. Die inhaltliche Arbeit wollen wir nicht bewerten. Der Opposition stehen jedoch unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung, die bei Anwendung auch unterschiedliche Effekte auf politische oder mediale Debatten und Verfahren haben können. Zwei haben wir stellvertretend herausgegriffen:

  • Zum einen betrachten wir die Anzahl der gestellten Kleinen Anfragen. Sie sind ein Mittel des Parlaments, um bestimmte Sachverhalte oder Fragen durch die Bundesregierung erklären zu lassen, um Öffentlichkeit und Anknüpfungspunkte für die weitere Debatte zu schaffen.
  • Zum anderen werfen wir einen Blick auf die Anzahl der eingebrachten Anträge einer Fraktion. Anträge sind im Vergleich zu Kleinen Anfragen durch Fraktionen formulierte Politikvorschläge, die oppositionsseitig häufig dafür genutzt werden, um Alternativen zu Gesetzesentwürfen oder Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag aufzuzeigen.

Um eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Wahlperioden herzustellen, wird der Zeitraum der ersten 250 Tage seit Konstituierung des jeweiligen Parlaments für beide Variablen angeschaut.

Bisher hat im 20. Deutschen Bundestag die CDU/CSU-Fraktion die wenigsten Kleinen Anfragen gestellt. Die mit der Oppositionsarbeit vertrauteren Fraktionen (z.B. Die Linke) weisen hingegen deutlich höhere Werte auf. Über den Betrachtungszeitraum hinweg lassen sich zwei Beobachtungen verallgemeinern:

  1. Fraktionen, die über mehrere Legislaturperioden hinweg in der Oppositionsrolle bleiben (z.B. die Grünen von 2009 bis 2017), weisen über diesen Zeitraum hinweg ansteigende Werte bezüglich der Anzahl veröffentlichter Anfragen auf. Dies lässt darauf schließen, dass es Zeit braucht, bis sich Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden dieses Instrument der parlamentarischen Arbeit angeeignet haben.
  2. Umgekehrt trifft diese Erkenntnis auch zu: Es zeigt sich, dass Fraktionen, die neu in die Oppositionsrolle gekommen sind, auffallend weniger kleine Anfragen im Vergleichszeitraum gestellt haben.

Demgegenüber fällt bei den Anträgen das Bild gemischter aus: Dieses parlamentarische Werkzeug auch deutlich stärker von den regierungstragenden Fraktionen eingesetzt. Bei Betrachtung einzelner Anträge zeigt sich, dass diese Fraktionen das Instrument zur thematischen Schwerpunktsetzung nutzen und bei einzelnen übergeordneten Themen politische Positionen sowie Forderungen formulieren. Fraktionen, die sich neu in der Oppositionsrolle wiederfinden, stellen häufiger Anträge als Kleine Anfragen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die meisten Abgeordneten sowie Mitarbeitenden durch jahrelange Parteiarbeit darin geübt sind, politische Anträge zu verfassen. Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass Anträge eher dem Typus des Gesetzesentwurfs ähneln als Kleine Anfragen. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Abgeordnete und Fraktionen, die in der vorherigen Legislaturperiode noch die Regierung getragen haben, effizienter Anträge als Kleine Anfragen erstellen können. Auch in der aktuellen Legislaturperiode bildet die Unionsfraktion keine Ausnahme. Im relativen Vergleich stellt sie deutlich mehr Anträge als kleine Anfragen und gehört in dieser Kategorie zu den aktivsten Fraktionen im Parlament.

Ampel in der Regierung – wie gut funktioniert das Gesetzgebungsverfahren?

Auch bei der Bewertung der Arbeit der Ampel, schauen wir auf Strukturen statt der qualitativen Bewertung von Inhalten. In diesem Fall betrachten wir für den Zeitraum von 200 Tagen ab der Wahl der Bundeskanzlerin/des Bundeskanzlers und folglich der Vereidigung des Kabinetts, wie viele Gesetze durch die Bundesregierung in den Deutschen Bundestag eingebracht worden sind. Denn in der Theorie sollten mehr eingebrachte Gesetzgebungsverfahren in diesem frühen Stadium der Regierungsarbeit dafürsprechen, dass die neu gebildete Regierung effektiver und reibungsloser zusammenarbeitet und somit einen hohen legislativen Output kreieren kann. Der ambitionierte und umfassende Koalitionsvertrag sollte dieses Ziel ebenfalls unterstreichen.

Auffällig ist, dass die aktuelle Ampelkoalition von allen betrachteten Koalitionen den geringsten Output im Zeitraum aufweist. In Anbetracht der vorher formulierten Annahme deuten die Zahlen darauf hin, dass die bisherige Koalition – gemessen am Output – noch den besten gemeinsamen Arbeitsmodus finden muss. Vergleicht man jedoch den aktuellen Output der ersten Koalition von drei Parteien, in der der Koordinierungsaufwand deutlich höher ist als bei den bisherigen Bündnissen, mit dem der Vorgängerregierungen (z.B. Schröder I, Merkel II und Merkel III), ist die Anzahl der eingebrachten Gesetzesentwürfe nicht erheblich geringer. Es lässt sich somit argumentieren, dass die aktuelle Regierung trotz einer in dieser Form erstmalig zusammenarbeitenden Koalition eine vergleichbare Arbeitsleistung zeigt wie ihre Vorgängerregierungen.

Fazit

Die datenbasierte Annäherung an die eingangs formulierten Fragestellungen zeigt, dass es für Fraktionen, die am Beginn ihrer Oppositionszeit stehen, deutlich herausfordernder ist, sich an den (veränderten) Parlamentsbetrieb zu gewöhnen. Entweder muss auf Ressourcen verzichtet werden (weniger Abgeordnete, geringere Anzahl an Mitarbeitenden, kein Zugang zu Ministerien) oder diese müssen erst aufgebaut werden (Befähigung von Abgeordneten und Mitarbeitenden, Aufbau der Strukturen). Dadurch fällt insbesondere die Generierung von Kleinen Anfragen und somit die Kontrolle der Regierungsarbeit zu Beginn unterdurchschnittlich aus.

Der Übergang in Regierungsverantwortung scheint auf Basis der betrachteten Zahlen für neue Regierungen einfacher zu sein. Hier gibt es zwar auch Unterschiede beim Output, doch sind diese grundsätzlich geringer. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass bei der Neubildung einer Regierung nur das politische Führungspersonal in den Ministerien ausgetauscht wird. Die Fachebene, die maßgeblich Gesetzesvorhaben vorbereitet, wird hingegen nicht ausgewechselt, sodass ein reibungsloses Funktionieren der Exekutive garantiert ist und somit auch die Gesetzgebungstätigkeit nicht erst immer neu erlernt werden muss. Nichtsdestotrotz zeigt die aktuelle Koalition im historischen Vergleich den (bisher) geringsten Output, was mit der erstmaligen Beteiligung dreier Parteien an der Regierung und dem sehr volatilen politischen Umfeld erklärt werden kann.