Lange hat es sich hingezogen, aber seit einigen Wochen steht fest: Armin Laschet ist Kanzlerkandidat von CDU und CSU für die Bundestagswahl 2021. Seine Kandidatur ist intern wie extern nicht unumstritten: Laschet wird nachgesagt, er habe „kein Kanzlerformat“. Insbesondere zahlreiche Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion machten ihren Unmut im Zuge der Personaldebatte um die Kanzlerkandidatur Luft und forderten stattdessen eine Kandidatur von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Dieser liegt in Meinungsumfragen deutlich vor Laschet. Mit einem Kanzlerkandidat Markus Söder wäre, aus Sicht einiger Unionsabgeordneten, der Wiedereinzug Einzelner in den Deutschen Bundestag „gesicherter“.

Doch Umfragen und Präferenzen von Mandatsträgern sind in einem langen Bundestagswahlkampf nicht alles. Viele Faktoren werden am Ende eine Rolle spielen. Unser Experte Jenovan Krishnan blickt in diesem Beitrag nicht in die Glaskugel. Dafür gibt er einen Überblick was aus verschiedenen Perspektiven wie Koalitionslogik, Regionalproporz oder innerparteilicher Dynamik an Chancen und Herausforderungen auf den Kanzlerkandidaten Armin Laschet warten können. Außerdem die spannende Frage: Was bedeutet dies für Public Policy-Verantwortliche und ihre Arbeit in den nächsten Monaten und unter einem Kanzler Laschet?

Chancen für Armin Laschet

Armin Laschet kann koalieren und regieren: Die fehlende oder vorhandene Regierungserfahrung nimmt in der bisherigen Debatte um die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten viel Raum ein. Ob sie entscheidend ist, mag jeder Wähler für sich bewerten; hilfreich ist sie allemal, um eine Bundesregierung mit rund 15 Ministerien aus der (hoffentlich) abebbenden Pandemie herauszuführen. Aktuell führt Laschet die schwarz-gelbe Koalition im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen geräuschlos – bei nur einer Stimme Vorsprung.

Laschet und Lindner: Was das nächste Thema eröffnet. Sollte die FDP nach der Bundestagswahl das Zünglein an der Waage sein und zwischen Ampel und Jamaika entscheiden müssen, ist Laschet ein starkes Argument für die letztere Regierungskoalition. Die Möglichkeit einer 3er Koalition mit der FDP – ähnlich wie 2017 – ist ein wahrscheinliches Szenario. Die geplatzten Gespräche nach der Bundestagswahl 2017 sind bei einigen noch präsent. 2021 sieht die Ausgangslage anders aus. Weder Angela Merkel noch ihr Stab werden bei den Verhandlungen eine Rolle spielen. Die Parteivorsitzenden von CDU und FDP kennen und schätzen sich aus der früheren Zusammenarbeit in Nordrhein-Westfalen. Bei Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen 2021 kann das die Basis für eine Zusammenarbeit sein.

Laschet und die Grünen: Es ist scheinbar in Vergessenheit geraten, dass Laschet Ende der 90er Jahre Teil der sogenannten „Pizza Connection“ war. Vor mehr als 25 Jahren trafen sich im Weinkeller des Bonner Italieners „Sassella“ junge Abgeordnete – von CDU und Bündnis 90 / Die Grünen – aus dem Bundestag. Ziel war es dabei neue demokratische Mehrheiten, in Form einer schwarz-grünen Koalition, auszutesten und inhaltliche Überschneidungen zu identifizieren. Laschet war von Beginn an Teil dieser Allianz. Bei anstehenden schwarz-grünen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen hätte er die Möglichkeit diese Vorstellung in die Realität umzusetzen. Anknüpfungsfähig ist Laschet also sowohl bei Grünen als auch der FDP.

Armin Laschet kann Wahlen gewinnen: Laschets Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen kam überraschend. Zum einen hat er ihn in der vielbeschworenen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ errungen. Zum anderen geling ihm das gegen eine, bis dahin äußerst beliebte, amtierende Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Eine parallele zum Bundestagswahlkampf sollte zu denken geben: Damals startete er ebenfalls mit sehr schlechten Umfragewerten – und drehte sie innerhalb weniger Wochen. Er sollte daher bis zuletzt nicht abgeschrieben werden.

Herausforderungen für Armin Laschet

Risiko NRW: Kommunikativ erwähnen Armin Laschet und seine Unterstützer immer wieder und aus guten Gründen Nordrhein-Westfalen. Hier hat er Regierungserfahrung gesammelt, hier kann er starke Verbundenheit demonstrieren. Gleichzeitig kann es auch zu einem Hindernis werden, da er sich nun als Kanzler aller Bundesländer positionieren muss. Schaut man sich den Unterstützerkreis Laschets aus der ersten und zweiten Reihe an, fällt auf, dass mit Ralph Brinkhaus, Paul Ziemiak, Friedrich Merz, Jens Spahn, Norbert Röttgen oder Serap Güler zahlreiche Politiker aus Nordrhein-Westfalen stammen. Dieser Umstand kann intern noch für viel Unruhe sorgen. Insbesondere wenn es nach erfolgreicher Wahl an die Verteilung von Minister- und Staatssekretärsposten gehen wird. Außerdem entscheidet Laschet als Parteivorsitzender über die Aufnahme von Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen sowie die Besetzung der Verhandler. Einige Landesverbände könnten sich vernachlässigt fühlen und Laschet, durch interne oder öffentliche Kritik, so das Leben schwer machen. Der Eindruck einer zerstrittenen Union würde sich einmal mehr erhärten.

Rückhalt aus der eigenen Partei: Der harte Kampf zwischen Markus Söder und Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur hat öffentlich gezeigt, dass Laschet Teile seiner Partei und die Schwesterpartei nicht hinter sich weiß. Insbesondere die Bundestagsfraktion hat das mehrfach und medial bekundet. Auch wenn Laschet nun offiziell Kanzlerkandidat der Union ist: Er zieht mit einer entzweiten Parteibasis in den Wahlkampf. Es bleibt zu klären, ob Laschet die enttäuschten Söder-Anhänger für sich gewinnen kann. Der Parteivorstand setzt große Hoffnungen in Laschets „integrative“ Fähigkeiten. Diese hat er beispielsweise in Nordrhein-Westfalen nach der verlorenen Landtagswahl im Mai 2012 mit historisch schlechtem Ergebnis für die CDU unter Beweis gestellt. Als neuer CDU-Landeschef führte er damals die NRW-CDU in die Landtagswahl 2017, aus welcher die Partei mit 33,0 % (72 Sitze) als stärkste politische Kraft hervorging. Auch im Nachgang bei der Besetzung seines Kabinetts zeigte er sie. Er machte beispielsweise Herbert Reul, als Vertreter des konservativen Lagers in der Union, zum Innenminister. Mit Hendrik Wüst machte er den Landesvorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU in Nordrhein-Westfalen zum Verkehrsminister. Und mit Karl-Josef Laumann machte er den Bundesvorsitzenden des Arbeitnehmerflügels der CDU zum Landesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

 

Was können Policy-Verantwortliche von einem Kanzler Laschet erwarten?

Inhaltliche Abgrenzung zu den Grünen: Laschet betont er stehe für den Einklang von Ökonomie und Ökologie und hat diese Synthese zum zentralen Versprechen seiner Politik auf Bundesebene gemacht. Aus seiner Sicht muss dabei sozialer Zusammenhalt gewährleistet sein, Beschäftigung gesichert werden und die ökologische Transformation gelingen. Auf dieser Ebene unterscheiden sich die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten mittlerweile nur noch in Nuancen. Spannender wird die Umsetzung. Hier lohnt es sich ebenfalls nach Nordrhein-Westfalen zu schauen: Dort moderierte und begleitete er den Strukturwandel in der Kohleregion. Dabei gelang es ihm alle beteiligten Parteien an einen Tisch zu bringen und dabei eine Perspektive für wegfallende Arbeitsplätze und die Umwelt zu schaffen. Es bleibt abzuwarten ob und wie er dies einbringen kann.

Präzisere Forderungen können ab Ende Juni/Anfang Juli erwartet werden, wenn auch das Regierungsprogramm der Union finalisiert und vorgestellt werden wird.

Selbstverständnis des Armin Laschet: In der Vergangenheit hat er mehrfach gezeigt, dass er sich seiner Linie treu blieb und sprunghafte Richtungswechsel weitestgehend vermeidet. Das wird ihm von Kritikern als Schwäche und von Befürwortern als Stärke ausgelegt. Beispielsweise setzte er sich als erster Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen für Toleranz, Respekt und Dialogbereitschaft ein. In der Flüchtlingskrise folgte er seiner Linie und unterstützte die Politik der Bundeskanzlerin. Während der Corona-Pandemie plädierte er früh Öffnungsschritte und blieb, trotz Kritik, bei dieser Position. Für Public-Policy-Verantwortliche ist das Handeln eines Kanzler Laschet daher ein Stück weit „berechenbar“.

Wie geht es weiter für die Union?

Fahrplan bis zur Bundestagswahl: Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, die am 6. Juni 2021 stattfindet, wird der erste Härtetest für Armin Laschet. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat er die Herausforderungen all jener, die vom Strukturwandel gerade im Kohlebergbau betroffen sind, auf seiner Agenda. Das ist insbesondere in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, dort wo die Alternative für Deutschland stark ist, das beherrschende Thema. Insofern hat er die Chance hier inhaltliche Schwerpunkte für AfD-Hochburgen zu setzen und mit seinen Erfahrungen bei der Begleitung des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen zu punkten. Die Umfragen prognostizieren allerdings ein enges Rennen und komplizierte Regierungs-Konstellationen. Es wird zu beobachten sein, wie Armin Laschet mit möglichen Koalitionsbestrebungen von CDU-Mitgliedern und -Abgeordneten mit der AfD reagiert. Laschet darf aus der jüngeren Geschichte gewarnt sein: 2020 kostete die Landtagswahl in Thüringen, der Umgang der CDU mit der AfD und die Reaktion seiner Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer das Amt. In Sachsen-Anhalt entscheiden darüber hinaus die CDU-Mitglieder in einer Mitgliederbefragung über die Zustimmung eines Koalitionsvertrages. Theoretisch haben die CDU-Mitglieder in Sachsen-Anhalt also die Möglichkeit jede – von der Parteiführung präferierte – Koalition abzulehnen. Das würde Laschets Führungsstärke erneut auf den Prüfstand stellen. Ein solches Szenario erscheint aktuell, aber eher unwahrscheinlich.

Anders als die anderen Parteien, hat die Union ihr Programm noch nicht veröffentlicht. Aus den vorherigen Wahlkämpfen lässt sich schließen, dass die CDU/CSU ihr Programm traditionell sehr spät veröffentlicht. Zum einen können sie dadurch auf die Programme der anderen Parteien eingehen und zum anderen auf aktuelle, politische Debatten reagieren. Gleichzeitig macht sich die Union aber dadurch, insbesondere durch die politischen Gegner, angreifbarer.

Aktuell befindet sich die CDU im Programmprozess für das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Die Grundlage dafür liefern zum einen die Bundesfachausschüsse der CDU, die ihre Positionspapiere einreichen und zum anderen die sogenannten Thementische. Dabei diskutieren im digitalen Format Mitglieder, Fachpolitiker der Union und Experten über die Themen: Wirtschaft und Arbeit, Bürokratieabbau und Verwaltung, Klima- und Umweltschutz, Familie, Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung, Bauen und Wohnen, Europa und Internationales, Innovationen und Forschung, Innere Sicherheit, Stadt und Land. Die Essenz aus diesen Diskussionen und den Positionspapieren der Bundesfachausschüsse, münden in dem Programm der CDU. Der Entwurf dieses Programms muss dann in einer Bundesvorstandssitzung final bestätigt werden. Anfang Juni soll bei einer gemeinsamen Vorstandssitzung zwischen CDU und CSU das Wahlprogramm der beiden Parteien beschlossen und präsentiert werden.

Fazit: In den Umfragen liegt Armin Laschet und die Union zwar noch deutlich hinter ihren Erwartungen. Allerdings ist das lediglich eine Momentaufnahme. Laschet hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er Umfragen drehen und die Menschen für sich gewinnen kann. Diese Kraft wird ihm oft abgesprochen. Seine Regierungserfahrung und -qualitäten unterscheiden ihn von manchen Mitstreitern. Nun liegt es an ihm und seinem Team die vor ihm liegenden Herausforderungen zu bewältigen und seine Partei hinter sich zu bringen. Formal hat Armin Laschet Kanzlerpotenzial. Ob er das wird, entscheiden aber die Wählerinnen und Wähler am 26. September 2021.

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