Die ersten 100 Tage nach Amtsantritt der neuen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen standen die Zeichen auf Aufbruch. Das Arbeitsprogramm veröffentlicht, strategische Initiativen verkündet – so sollte es in Brüssel an die Arbeit gehen. Der Corona-Ausbruch hat dies vorerst verhindert. Europa ist gegenwärtig das Epizentrum der Pandemie und dies bleibt nicht ohne Folgen für den politischen Betrieb.

Die Europäische Kommission

Im Brüsseler Maschinenraum geht die Arbeit weiter, wenn auch von zu Hause aus. Rund 25.000 Mitarbeiter der Europäischen Kommission sind seit Anfang dieser Woche Heimarbeiter. Die IT hat – soweit wir hören – bisher standgehalten. Institutionell hat sich die Kommission mit einem Krisenstab auf die neue Situation eingestellt, neben des gesundheitspolitischen Krisenmanagements im engeren Sinne stehen vor allem die Flankierung wirtschaftspolitischer Stützungsmaßnahmen und die Erhaltung der grenzüberschreitenden Lieferketten im Fokus. Die Kommissare koordinieren sich, wie überall sonst, in Videokonferenzen, die Kommission bleibt bislang auf allen Ebenen handlungsfähig.

Gleichzeitig bindet die Krise aber Managementkapazitäten und Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Bei fristgebundenen Verfahren sollte man sich möglicherweise auf Verzögerungen einstellen, trotz der jüngst angekündigten verstärkten Durchsetzung des EU-Rechts im Binnenmarkt werden Notifizierungs- und Vertragsverletzungsverfahren gegebenenfalls weniger an Priorität genießen. Offen bleibt derzeit auch, wie schnell bereits angekündigte „Schlüssel“-Initiativen auf den Weg gebracht werden können. Die zentrale Herausforderung: Wieviel politische Entscheidungsfähigkeit und wieviel Koordinationsfähigkeit kann die Kommission über die verschiedenen zu beteiligenden Generaldirektionen und Ebenen in den kommenden Wochen und Monaten herstellen. Offen bleibt damit auch. was künftig noch als „Schlüssel“ qualifiziert werden kann und welche Initiativen vorläufig unter den Verhandlungstisch fallen müssen.

Der Rat der Europäischen Union

Schwieriger gestaltet sich die Situation bislang im Rat, wo der übliche Arbeitsmodus, Entscheidungen der Ministerebene akribisch in den Ratsarbeitsgruppen und zwischen den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten vorzubereiten, von der Krise auf den Kopf gestellt worden ist. Innen- und Gesundheitsminister beraten derzeit in hoher Frequenz – allerdings dem Vernehmen nach teils ohne zureichende Vor- und Nachbereitung, die die effiziente Umsetzung der Gesprächsergebnisse ermöglichen würde. Mehr als Gesprächsergebnisse sind derzeit darüber hinaus nicht zu erreichen –  für förmliche Beschlüsse wäre die Anwesenheit der jeweiligen Fachminister erforderlich, deren Sitzungen aber ebenfalls als Videokonferenzen stattfinden.

Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) bemüht sich hier um Anpassungen, hat aber noch keine Einigkeit erzielen können. Verfahrensfragen sind eben auch immer Machtfragen, die sich zwischen den Hauptstädten und der Ratsmaschinerie in Brüssel stellen. Einigkeit besteht, wie aus internen Ratsdokumenten berichtet wird, nur mit Blick auf die Forderung an die Kommission, laufende Vertragsverletzungsverfahren doch bitte mit Fristverlängerungen zu bedenken.

Das Europäische Parlament

Unter Einschränkungen geht auch die Arbeit im Europäischen Parlament weiter. Sämtliche Ausschusssitzungen und sonstige parlamentarische Aktivitäten wurden für diese Woche abgesagt. Laufende Gesetzgebungsverfahren werden nur noch unter den zuständigen Berichterstattern und Schattenberichterstattern in Videokonferenzen vorangetrieben, während Vorbereitungen getroffen werden, die Ausschüsse und das Plenum mit 705 Europaabgeordneten entscheidungsfähig zu halten. Mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments drängen die Staats- und Regierungschefs, die Möglichkeit einer virtuellen Plenarsitzung zu schaffen, bei der elektronische „Token“ zur Überprüfung der Identität der Abgeordneten während der Abstimmung und andere Software zur elektronischen Unterzeichnung von Änderungsanträgen verwendet werden. Das Personal des Europäischen Parlaments arbeitet bis auf Weiteres von zu Hause. Verwaltungsbediensteten wurde nahegelegt, sich ein funktionsfähiges Home-Office für einen Zeitraum von 12 Monaten einzurichten.

Am kommenden Donnerstag, 26. März, wird das Parlament in Brüssel eine außerordentliche Plenarsitzung abzuhalten, auf der die Abgeordneten über die ersten drei Legislativvorschläge der Europäischen Kommission zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in den EU-Mitgliedstaaten debattieren und abstimmen werden.

Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft der EU. Es ist davon auszugehen, dass die bisherige Agenda sich fundamental ändern wird.

 

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