Kann ein multimilliarden Verkehrsprojekt, das von zwei Landes- und der Bundsregierung gewollt wird, an der Landkreisverwaltung Dahme-Spreewald scheitern? Kann es, wie die Geschichte des Flughafens BER zeigt – auch wenn ganz am Ende der Flugbetrieb aufgenommen wurde. Doch wäre dies auch passiert, wäre Steffen Kotré von der AfD der Landrat gewesen? 

Warum das Unternehmer:innen interessieren sollte? Nicht nur Flughäfen brauchen Genehmigungen durch die Landkreisverwaltung, auch Windparks, Logistikzentren oder Fabriken (um nur ein paar zu nennen). Und Landräte können sehr viel Einfluss darauf haben, ob und wie schnell diese Genehmigungen erteilt werden. Doch ist das überhaupt ein reales Risiko? Wir haben das ausgewertet und ein Risikomodell gerechnet.  

Landratswahlen und die Alternative für Deutschland 

Kotré ist zum Glück für die Gesellschafter des BER erst 2023 zur Landratswahl im Dahme-Spreewald angetreten und ebenfalls glücklicherweise gescheitert. Letzteres war aber nicht gesichert, denn in der ersten Wahlrunde war er der stärkste Kandidat. Genau wie Kotré haben es seit Januar 2022 zehn weitere AfD-Parteikolleg:innen in die Stichwahl zum Landrat geschafft. Mit Robert Sesselmann wurde 2023 thüringischen Landkreis Sonneberg der erste AfD-Landrat gewählt. Unter Umständen erhält er bald Verstärkung, denn am 9. Juni werden in Thüringen, aber auch darüber hinaus, zahlreiche Landratsämter neu besetzt. 

Diese Entwicklung könnte für Unternehmer:innen, z. B. in den Bereichen Erneuerbare Energien und Logistik besorgniserregend sein, denn Landrät:innen halten die Schlüssel zu vielen Genehmigungsverfahren auf Kreisebene. Zum Beispiel erteilen sie die Genehmigung für Solar- oder Windparks. Wobei das Risiko nicht nur eine Ablehnung ist, sondern auch die Verzögerung von Verfahren, die Projekte unrentabel machen kann. Die Gefahr, dass Landrät:innen und Bürgermeister:innen der AfD die Energiewende im ohnehin hinterherhinkenden Thüringen weiter verschleppen, hat auch das dortige Umweltministerium erkannt. Nach Informationen der Nachrichtenplattform „The Pioneer“ plant das Ministerium per Ministerverordnung den Kreisen und Kommunen diese Verantwortung abzunehmen.  

Aber von Landrät:innen geht nicht nur ein regulatorisches, sondern auch ein reputatives Risiko aus. Was tun, wenn der AfD-Landrat gemeinsam mit dem Unternehmen das Richtfest für das neue Logistik-Zentrum feiern will? Die Partei ist mindestens in Teilen gesichert rechtsextrem. Welchen Einfluss hat die Wahl auf Fachkräfte vor Ort und beim Recruiting? Unternehmen müssen sich schon heute auf diese schwierigen Fragen vorbereiten, denn ist ein:e Landrät:in einmal gewählt bleibt sie mindestens vier, teilweise aber bis zu zehn Jahre im Amt (siehe Abbildung 1). Zu verstehen, wann und wo AfD-Landrät:innen mit welcher Wahrscheinlichkeit gewählt werden können ist also für Unternehmen von großer Bedeutung zur Beurteilung ihrer Investitionen und ihrer Standortentwicklung. 

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass AfD-Kandidat:innen gewählt werden? 

Im Vorlauf und parallel zur Europawahl am 9. Juni werden Thüringen, Niedersachsen und vereinzelt auch im Rest der Republik Landratsämter neu besetzt. Nächstes Jahr folgen Landratswahlen in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Bis Dezember 2025 werden also ein Drittel der Landkreise ihre obersten Verwaltungsbeamt:innen austauschen. In 2026 wird außerdem Bayern im ganzen Freistaat neue Landrät:innen wählen.Für Unternehmen und Investoren ist die gute Nachricht, dass in der überwiegenden Mehrheit der Landkreise die Gefahr eines AfD-Landrats eher gering ist. Mit Hilfe eines Bayesschen Regressionsmodells können wir lokale Strukturmerkmale und historische Wahldaten nutzen, um eine Wahlwahrscheinlichkeit für jeden Landkreis zu schätzen. Die weniger gute Nachricht lautet aber, dass es dennoch Landkreise gibt, in denen die Wahrscheinlichkeit ausreichend hoch ist, dass Unternehmen sich auf alle Szenarien vorbereiten müssen. 13 Landkreise wurden vom Vorhersagemodell als Landkreise mit erhöhtem Risiko eingestuft, darunter der Erzgebirgskreis, die Landkreis Görlitz, Zwickau und Stendal, sowie im Kreis Altenburger Land, wo am 26. Mai 2024 auch ein AfD-Kandidat zur Wahl steht. Das Vorhersagemodell gibt dem Kandidaten bei aktuellen Datenstand eine 35 prozentige Chance auf den Sieg. In elf weiteren Landkreisen besteht ein geringes Risiko, und in 224 Landkreisen ist es quasi ausgeschlossen, dass ein AfD-Kandidat gewählt wird.

Was tun, wenn ein:e AfD-Kandidat:in die nächste Landratswahl für sich entscheidet? 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine starke Mobilisierung durch die AfD bei Landratswahlen ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Unternehmer:innen vor Ort darstellt. Diese Entwicklungen erfordern eine sorgfältige Beobachtung und Vorbereitung seitens der Geschäftsführung, um auf mögliche Veränderungen in der lokalen Politik und Verwaltung reagieren zu können. Unternehmer:innen, insbesondere in den 20 Wahlkreisen mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von über 20 Prozent, sollten sich mit Risikoassesments und Szenarienplanungen wappnen und sich schon frühzeitig Unterstützung von Aufsichtsgremien und Gesellschaftern sichern. Sie sollten entschieden, wie sie mit der Frage des:der Landrät:in nach einem gemeinsamen Foto zum Spatenstich für eine Werkserweiterung umgehen wollen. Und sich die Frage stellen, ob sie dies alles auch ihren (zukünftigen) Mitarbeiter:innen kommunizieren können.

Sie stehen vor diesen Fragen und brauchen Unterstützung? Zögern Sie nicht mit Julian Schibberges oder Mohamed Hamzé Kontakt aufzunehmen!