„Das hat noch Zeit. Gerade ist doch sowieso Sommerpause.“ „Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sind doch eh nicht erreichbar.“ „Die sind alle im Urlaub.“
Wer aus dem politischen Berlin kennt diese Sätze nicht? Man hört sie jedes Jahr im Juli und August, pünktlich zu Beginn der sitzungsfreien Zeit. Viele verspüren dadurch den Drang, einige Aufgaben noch schnell vor der Sommerpause zu erledigen: mehrere Telefonate führen, ein Positionspapier veröffentlichen und besonders beliebt: Abgeordnete kurz vor ihrem Urlaub zu einer Sommerveranstaltung einladen – ausgerechnet in Berlin und zur Ferienzeit. Die Aufgabendichte kurz vor der Sommerpause ist hoch, weil viele das Gefühl haben, während der sitzungsfreien Zeit keine wirkungsvollen Beiträge leisten zu können – ein Irrtum.
Auch in diesem Jahr sind Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordnete im Urlaub. Doch mit Blick auf die regulatorische Agenda sehen wir Referenten- und Gesetzentwürfe, Planungen für außerordentliche Ausschusssitzungen und Länder- sowie Verbändeanhörungen. Wichtige Vorhaben stehen für den Sommer 2023 auf der politischen Tagesordnung: Das Kabinett streitet u. a. über die Kindergrundsicherung, beschließt die Cannabislegalisierung, diskutiert das Wachstumschancengesetz und widmet sich der Wärmeplanung. Daher ist die „Sommerpause“ keine Phase mehr, in der der politische Betrieb stillsteht.
Gerade in den Sommermonaten gilt für Beratungen der Public Policy, aktiv zu bleiben, um politische und gesellschaftliche Entwicklungen im Blick zu behalten und diese in anschlussfähige Strategien umzusetzen. Folgende Punkte dienen dafür als Orientierung:
Reflektion und Kreativität
Die Sommermonate sind ideal, um bisherige Strategien und Tätigkeiten kritisch zu hinterfragen und ggf. neu zu definieren. Zwar gehört dies zu den täglichen Aufgaben, allerdings findet sich während der Sommerpause mehr Zeit, um folgende Fragen zu beantworten: Was hat bisher gut funktioniert? Zahlen die Aufgaben weiterhin auf das Ziel ein? Welche Ansätze sind zu verbessern? Die Reflektion liefert wertvolle Erkenntnisse und trägt dazu bei, aktuelle und künftige Strategien zu optimieren.
Wissen und Analysen
Während der Sitzungswochen sind die meisten Beratungen mit spezifischen Themen, Verfahren und Akteuren beschäftigt. Sie erarbeiten Strategien und widmen sich dem operativen Geschäft. Da bleibt wenig Zeit, um andere Themen detailliert zu durchleuchten. Dabei ist die politische Landschaft ständig im Wandel: Neue Themen kommen auf, Personalwechsel bringen neue Gesichter zum Vorschein, Verfahren werden angepasst. Diese Zeit nutzen wir in der Public Policy für umfangreiche Analysen: Wir prüfen u. a. aktuelle Stellungnahmen zum Klimaschutzprogramm, z. B. die vom Expertenrat für Klimafragen. Wir ordnen diverse Positionen zur Gesundheitsdatennutzung ein, z. B. die der ärztlichen Verbände und Krankenversicherungen. Wir beobachten große Konferenzen, z. B. den EU-CELAC-Gipfel oder das Treffen der BRICS-Staaten, um über internationale Entwicklungen informiert zu sein. Es geht darum, frühzeitig das Wissen zu den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu vertiefen. Das befähigt uns, gesellschaftliche Trends zu identifizieren, politische Veränderungen zu antizipieren und jederzeit handlungsfähig zu bleiben.
Kommunikation und Daten
Die Sommerpause ist hilfreich, um frischen Wind in die eigenen Kommunikationsstrategien zu bringen, Material zu aktualisieren, Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Eine gute politische Kommunikation weckt das Interesse der breiten Öffentlichkeit, macht Themen sichtbar und anschlussfähig und regt Diskussionen über wichtige politische Fragen an. Heute gelingt das kaum ohne eine verlässliche Datenbasis. Deshalb nutzen wir die Sommermonate verstärkt, um relevante Daten und Informationen zu erfassen und zu filtern. Gerade bei komplexen Fragestellungen helfen datengetriebene Suchroutinen und z. B. Netzwerkanalysen, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten.
Ein Beispiel: Mit unseren technischen Lösungen konnten wir alle gesetzgeberischen Tätigkeiten im digitalen Gesundheitsbereich seit 2018 in kurzer Zeit erfassen, strukturieren und analysieren. Wir prüften Pfadabhängigkeiten und antizipierten wesentliche Bestimmungen des derzeit beratenen Digitalgesetzes. Ein anderes Beispiel: Wir erfassten mittels Medienresonanzanalyse die öffentliche Wahrnehmung eines Unternehmens und leiteten daraus wichtige Maßnahmen für die weitere Positionierung ab. Wo früher das „Bauchgefühl“ half, braucht es heute gut recherchierte und ausgewertete Daten und Informationen. So werden berechtigte Anliegen öffentlich / politisch anschlussfähig.
Netzwerk, Netzwerk, Netzwerk
In der Sommerpause verbringen die Abgeordneten viel Zeit im Wahlkreis, um dort für Meinungsaustausch zur Verfügung zu stehen. Diese Zeit eignet sich dafür, um persönliche Beziehungen zu bestehenden, aber auch neuen Kontakten zu festigen. Um das Meinungsspektrum vollständig zu erfassen, helfen auch Gespräche mit Vereinen, Fachgesellschaften, Beratungsgremien, einzelnen Expert*innen und Industrieunternehmen.
Ein Beispiel: Wir sprachen mit Pflegekammern, medizinischen Versorgungszentren und kommunalen Spitzenverbänden über die Gesundheitsversorgung vor Ort. Es entwickelten sich hilfreiche Argumente für die politische Debatte um Gesundheitskioske und Primärzentren. Beide Versorgungsformen werden im September in einem Gesetz geregelt, das die Versorgung stärken soll.
Man sieht, die politische Sommerpause endet schneller als gedacht. Im Vorteil sind jene Beratungen, die sich früh auf den Wiederbeginn der Sitzungszeit vorbereiten. Gerade dieses Jahr ist es wichtig, da die Bundesregierung „vorgearbeitet“ hat: Zu vielen Vorhaben existieren bereits Kabinettsbeschlüsse, sodass mehrere parlamentarische Beratungsprozesse Anfang September starten werden. Hat man rechtzeitig vor Beginn der Sitzungszeit die relevanten Informationen und gute Argumente, kann man sich als inhaltlicher Experte positionieren. Erfahrungsgemäß erhöht das die Gesprächsbereitschaft von Abgeordneten, die dann in die Berliner Politikblase zurückkehren.
Fazit: die vermeintliche Ruhe während der Sommerpause als Chance nutzen
Die Jahresmitte mag auf den ersten Blick wie eine ruhige Zeit erscheinen, doch für Public Policy bietet sie zahlreiche Chancen: Expertisen vertiefen, Beziehungen pflegen und ausbauen, Ideen entwickeln und sich strategisch sowie operativ auf die zweite Jahreshälfte vorbereiten. Es bietet sich die Gelegenheit, die eigene Beratungsarbeit zu optimieren und so ein verlässlicher Partner für die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Akteure zu bleiben, erst recht, wenn der politische Betrieb wieder Fahrt aufnimmt.