Wir verteidigen die Grund- und Menschenrechte mit rechtlichen Mitteln.Nicht weniger hat sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) auf die Fahnen geschrieben. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Berlin wurde 2015 gegründet und setzt sich seither mithilfe strategischer Prozessführung für die Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten ein. Bereits seit Jahren bringt sich die GFF u.a. aktiv in die politische Debatte um das sogenannte „Gesetz gegen digitale Gewalt ein“ ein, das derzeit im Bundesministerium für Justiz (BMJ) erarbeitet wird und mit dem die Ampel-Koalition den Schutz Betroffener digitaler Gewalt verbessern will. Sina Laubenstein, Projektkoordinatorin der Marie-Munk-Initiative bei der GFF, hat unserem Kollegen Moritz Maisenbacher Einblicke in die Arbeit der GFF, die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen im politischen Gesetzgebungsprozess sowie ihre persönliche Motivation für den Kampf gegen digitale Gewalt gegeben. 

Moritz: Die GFF hat vor kurzem einen eigenen Gesetzentwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz veröffentlicht. Welches Ziel verfolgt ihr damit? 

Sina: Mit unserem Gesetzentwurf bringen wir uns aktiv in die Debatte um Gewaltschutz im digitalen Raum ein. Wichtig war uns insbesondere, einen Entwurf vorzulegen, der grundrechtssensibel ist und so Bestand hat, dass er in der Praxis funktionieren kann. Wir sind uns bewusst, dass nicht wir als zivilgesellschaftliche Organisation, sondern die Regierung die Gesetze schreibt. Dennoch stellt unser Entwurf einen Vorschlag, dar, bei dem natürlich die Hoffnung besteht, dass Teile davon übernommen werden können. Mindestens aber wollen wir damit Impulse setzen, durch die sich das (Anm.: für die Erarbeitung des Gesetzentwurfs zuständige) Bundesjustizministerium (BMJ) inspirieren lässt. 

Moritz: Das BMJ hat im Mai dieses Jahres erste Eckpunkte des Gesetzes vorgelegt und um Stellungnahmen betroffener Unternehmen, Verbände und Organisationen gebeten. Ihr habt ebenfalls eine Stellungnahme abgegeben. Kannst du kurz umreißen, was ihr daran schon gut findet und wo ihr noch Kritikpunkte seht? 

Sina: Insgesamt ist es v.a. aus zivilgesellschaftlicher Perspektive als Erfolg anzusehen, dass überhaupt ein Eckpunktepapier da ist. Die Tatsache, dass die Politik erkannt hat, dass digitale Gewalt ein großes Problem ist und das Gesetzesvorhaben deshalb bereits im Koalitionsvertrag aufgetaucht ist, hat Hoffnung gemacht. Gut finden wir als GFF v.a., dass richterlich angeordnete Accountsperren vorgesehen sind und Soziale Netzwerke auch weiterhin verpflichtet sind, inländische Zustellungsbevollmächtigte zu bestellen. Kritikwürdig ist aus unserer Sicht insbesondere die Ausgestaltung der Voraussetzungen für Accountsperren. Aktuell formuliert der entsprechende Vorschlag im Eckpunkte-Papier des BMJ dafür so hohe Hürden, dass diese in der Praxis für Betroffene kaum anwendbar sein werden. Dem Tool der Accountsperren wird somit die Möglichkeit genommen, effektiv und schnell eingesetzt werden zu können. Beispielsweise ist der Begriff digitaler Gewalt viel zu eng definiert – Fälle von Volksverhetzung fallen z.B. nicht darunter, obwohl diese eine der größten Verstöße im digitalen Raum darstellen. 

Ein weiterer Punkt, den wir sehr kritisch sehen, ist die Tatsache, dass aktuell nicht vorgesehen ist, dass Beratungsstrukturen – eigeninitiativ oder im Auftrag von Betroffenen – Anträge auf Accountsperren stellen können. Aus Erfahrung wissen wir aber, dass Betroffene oft vielleicht nicht den Mut, vielmehr aber nicht die Ressourcen haben, selbst eine Anzeige zu erstatten. Im Koalitionsvertrag wurde eine Förderung von Beratungsstrukturen, die dafür notwendig wären, angekündigt. In den Eckpunkten findet sich dazu nichts. 

Auch die in den Eckpunkten vorgesehenen Auskunftsansprüche tragen aus unserer Sicht nicht dazu bei, effektive und schnelle Abhilfe gegen digitale Gewalt zu schaffen. Google-Rezensionen sind keine digitale Gewalt. Derlei Auskunftsverfahren können schnell missbraucht werden. 

Wir wünschen uns, dass sich das BMJ darauf besinnt, um was es bei dem Gesetzentwurf in erster Linie geht: Betroffene müssen in den Fokus gerückt und ermächtigt werden, sich schnell und effektiv gegen digitale Gewalt zur Wehr setzen zu können. Die reine Konzentration auf Mittel der Verfolgung und die Regulierung digitaler Plattformen wie bislang ist dafür nicht ausreichend. 

Digitale Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir können es nicht nur an einer Stelle angehen. Das würde ich mir für den weiteren Verlauf wünschen. Aber wir reden hier erst einmal über Eckpunkte, es ist noch kein Referentenentwurf und schon gar kein fertiges Gesetz. Jetzt ist die Zeit für Feedback und Kritik. Und zu hoffen, dass andere Ressorts eingebunden werden, z.B. das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) für die Schaffung von Beratungsangeboten. 

Moritz: Wie bringt ihr als zivilgesellschaftliche Organisation euch in Gesetzgebungsverfahren ein? Wie früh fangt ihr an, auf die politischen Stakeholder und die politische Debatte einzuwirken? 

Sina: Die Idee der Accountsperren wurde schon 2019 von Ulf Buermeyer, Vorstandsmitglied der GFF, in einem Tagesspiegel-Beitrag erwähnt und in der Folge auch von anderen Initiativen oder Parteien aufgegriffen. Unser Projekt startete dann im November 2021. Erst dann wurde geschaut, mit wem politisch gesprochen werden kann, also z.B. MdBs, die selbst von digitaler Gewalt betroffen sind oder sich bereits zum Thema geäußert haben, oder Parteien, die sich Accountsperren bereits auf die Fahnen geschrieben haben. Es war aber auch wichtig, herauszufinden, wo wir selbst uns in dem großen zivilgesellschaftlichen Konstrukt einordnen. Denn es gibt sehr viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die entweder zu digitaler Gewalt oder zu Grundrechten im digitalen Raum arbeiten – wir decken beides ab. Es war sehr wichtig, uns in einem ersten Schritt zu fragen, wo wir uns sehen. Zu eruieren, was die gemeinsamen Forderungen mit anderen Organisationen sind, aber wo wir uns auch unterscheiden. 

Das ganze Jahr 2022 haben wir dann dazu genutzt, um ein umfangreiches Verfahren durchzuführen, um einen ausgeglichenen Vorschlag auszuarbeiten. Wir haben also zunächst unsere ersten Ideen anderen Akteur*innen der Zivilgesellschaft sowie relevanten MdBs vorgestellt und dann ein erstes Feedbackverfahren über den Sommer nur mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gemacht. Die Rückmeldungen und Kritik zu unseren Ideen haben wir dann anschließend eingearbeitet. 

Natürlich haben wir mit MdBs und zuständigen Berichterstatter*innen der Fraktionen im Bundestag gesprochen, um zu schauen, wie das Thema und unsere Ideen bei den Parteien ankommen. Zudem haben wir geschaut, inwiefern unser Vorschlag mit dem DSA (Digital Services Act) der EU vereinbar ist. Dazu haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, dass es Spielraum für eine nationale Regulierung gibt. So konnten wir offene Fragen beantworten und als ernst zu nehmender Gesprächspartner in der Politik wahrgenommen werden. 

Moritz: Sind alle bei der GFF an der Arbeit zum Digitalen Gewaltschutzgesetz beteiligt? Wie teilt ihr eure Ressourcen als spendenfinanzierte Organisation mit begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen ein? 

Sina: In der für das Gesetz zuständigen Marie-Munk-Initiative innerhalb der GFF sind wir zu zweit. Natürlich gibt es trotzdem immer wieder auch Gespräche mit Leuten aus anderen Teams. Beispielsweise wird das Thema regelmäßig mit unserem Legal-Team gespiegelt, um immer wieder Feedback zu bekommen. Aber klar ist auch: Wir sind kein riesiges Team, wir haben weder einen Ministeriumsapparat noch Lobbyist*innen-Teams wie sie Unternehmen haben, die das Thema pushen können. 

Moritz: Wie nehmt ihr eure Rolle im Vergleich zu den großen Plattformen (Facebook, Twitter, Tik Tok usw.) wahr, die wahrscheinlich ein weniger großes Interesse daran haben, dass in ihre Plattformhoheit eingegriffen wird? Wie ist das Verhältnis? Findet auch hier ein Austausch statt? 

Sina: Wir haben uns auch mit verschiedenen Plattformen ausgetauscht. Allein schon, weil es sinnvoll ist, mit den Plattformen darüber zu sprechen, inwiefern unsere Ideen überhaupt technisch umsetzbar und sinnvoll sind. Die Plattformen müssen in dem Prozess natürlich eine Rolle spielen. Der Austausch war auch nie negativ. Klar ist aber auch, dass wir in der Sache verschiedene Interessen verfolgen. Bislang jedoch gibt es keinen massiven Gegenwind gegen das Vorhaben. Das kann sich aber natürlich auch alles noch ändern. Momentan sind die großen Plattformen v.a. mit der Implementierung der Regelungen des DSA beschäftigt. 

Moritz: Arbeitet ihr strategisch mit MdBs zusammen? Z.B. indem ihr Kleine Anfragen initiiert usw.? 

Sina: Natürlich sprechen wir mit MdBs verschiedener Parteien und veranstalten z.B. im Rahmen unseres F5-Bündnisses parlamentarische Frühstücke, auch zu anderen Themen als dem Digitalen Gewaltschutzgesetz. Wir versuchen immer, uns aktiv in Gespräche einzubringen. Nur zu hoffen, dass unsere Papiere und Stellungnahmen gelesen und unsere Ideen dann aufgegriffen werden, wäre naiv. 

Moritz: Abschließend: Was treibt dich persönlich in deiner täglichen Arbeit an? Wie bist du an das Thema Digitale Gewalt geraten? 

Sina: Das ist v.a. darin begründet, dass ich auch schon vor meiner Arbeit bei der GFF politisch aktiv war und z.B. Projekte gegen Rechtsextremismus betreut habe. Zudem war ich auch immer wieder selbst im Fadenkreuz digitaler Gewalt und habe daher auch aus persönlicher Betroffenheit eine Motivation, mich dagegen zu engagieren. Durch meine Arbeit für die GFF habe ich außerdem ein noch stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt, bei politischen Forderungen immer alle möglichen Konsequenzen bis zum Ende mitzudenken. Das ist sehr wichtig, damit am Ende nicht ein Gesetz entsteht, das einem auf die Füße fällt und der Gesellschaft mehr schadet als nützt. 

 

Sina Laubenstein ist Politikwissenschaftlerin und seit November 2021 Teil der GFF. Sie arbeitet im Projekt zum Digitalen Gewaltschutz. Sie arbeitet außerdem noch beim Institute for Strategic Dialogue im Projekt Business Council for Democracy und setzt im Rahmen dessen Trainings zu digitalen Gefahren in Unternehmen um. Vorher hat sie bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen das Projekt „Die Würde des Menschen ist unhassbar – No Hate Speech“ geleitet, das, unter anderem, die Umsetzung der Europarats-Initiative „No Hate Speech Movement in Deutschland“ umfasst.  Sie schreibt Beiträge zu den Themen „Digitale Zivilcourage“ und „Hass im Netz“, berät zivilgesellschaftliche und politische Akteur*innen zu Strategien im Umgang mit Extremismus und Hate Speech Online und ist international als Expertin im Themenfeld anerkannt. 
Quelle: Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.

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