Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag umfassende Reformen zu Transparenz, Digitalisierung und Effizienz im Gesetzgebungsverfahren angekündigt.
Mit dem Antrag der Regierungsfraktionen zur Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags („GO-BT“), die am 10. November 2022 in erster Lesung im Parlament debattiert wurde (BT-Drs. 20/4331), sollen nun erste zentrale Punkte aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden: Beratungen in den Ausschüssen sollen durch regelmäßige öffentliche und digitale Sitzungen, durch Veröffentlichungen von Ausschussunterlagen und durch klare Regeln zur Benennung von Auskunftspersonen für öffentliche Anhörungen transparenter und nachvollziehbarer für die Öffentlichkeit werden. Änderungen in Gesetzen sollen durch Synopsen verständlicher werden. Schließlich sollen Fragestunden und Regierungsbefragungen dynamischer gestaltet werden. Die Änderungen der GO-BT sollen bereits zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Öffentliche und hybride Ausschusssitzungen
Laut Änderungsantrag können Ausschüsse künftig selbst entscheiden, ob sie grundsätzlich in öffentlicher oder nicht öffentlicher Sitzung tagen. Bislang sind nicht öffentliche Sitzungen die Regel, woran sich zunächst auch nichts ändert: Solange sich die Ausschüsse nicht durch Beschluss aktiv für öffentliche Sitzungen entscheiden, tagen sie weiterhin nicht öffentlich.
Keines Beschlusses bedarf es zukünftig darüber, ob öffentliche Ausschusssitzungen im Internet übertragen werden: Dies soll zum Regelfall werden. Aber auch hier besteht keine Pflicht – wenn eine Übertragung aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht möglich ist, hat dies keine Auswirkungen auf die Öffentlichkeit der Sitzung.
Die bislang nur bis Ende 2022 befristete Möglichkeit der Abgeordneten, auch über elektronische Kommunikationsmittel an Sitzungen teilzunehmen und abzustimmen, soll mit dem Änderungsantrag fest in der GO-BT verankert werden. Grundregel wird jedoch weiterhin die Sitzung in physischer Präsenz bleiben, ein Anspruch eines einzelnen Mitglieds auf Durchführung einer digitalen Sitzung besteht nicht.
Neue Regelungen zu Auskunftspersonen
Die Einladung von Bundesbediensteten als Auskunftspersonen mit Ausnahme der Bereiche von Forschung und Lehre soll zukünftig grundsätzlich nicht mehr gestattet sein.
Zudem sollen Auskunftspersonen in Anlehnung an die Regelung im Abgeordnetengesetz verpflichtetet werden, im Vorfeld ihrer Stellungnahme etwaige finanzielle Interessenvertretungen in Bezug auf den Gegenstand der Beratung offenzulegen.
Ausschüsse sollen verpflichtet werden, mit der Tagesordnung einer Anhörungssitzung zu veröffentlichen, auf Vorschlag welcher Fraktion die jeweilige Auskunftsperson eingeladen wurde.
Der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit soll besondere Beteiligungsrechte bei Gesetzesentwürfen erhalten, die im Schwerpunkt Fragen des Datenschutzes betreffen.
Mindestanforderungen an den Inhalt eines Ausschussprotokolls
Die bereits existierenden Regelungen zu Ausschussprotokollen sollen hinsichtlich ihres Mindestinhalts geändert werden: Zukünftig sind sämtliche Ausschussdrucksachen, die Gegenstand der Beratung waren und die diesbezüglich ergangenen Beschlüsse im Protokoll zu vermerken beziehungsweise zu verlinken. Außerdem ist der wesentliche Beratungsverlauf zu dokumentieren, damit dieser sowohl bei öffentlichen als auch bei nicht öffentlichen Sitzungen von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden kann. Für nicht eingestufte (Teile der) Ausschussprotokolle gilt laut Änderungsantrag zukünftig grundsätzlich eine unverzügliche Veröffentlichungspflicht.
Synopse bei Gesetzesänderungen
Laut Änderungsantrag soll Gesetzesentwürfen aus der Mitte des Bundestages eine Synopse beigefügt werden, welche den geltenden Wortlaut des Gesetzestextes sowie die beabsichtigten Änderungen mit entsprechenden Hervorhebungen gegenüberstellt. Der hierdurch ermöglichte direkte Vergleich zwischen dem geltenden und künftigen Wortlaut des Gesetzestextes verbessert laut Begründung des Änderungsantrags wesentlich die Lesbarkeit von Gesetzestexten.
Änderungen bei der Regierungsbefragung und Fragestunde
Schließlich legt der Änderungsantrag einen Fokus auf die Regierungsbefragung, die von derzeit 60 auf 90 Minuten verlängert wird, um einen intensiven lebendigen Austausch zu ermöglichen. An der Befragung sollen zukünftig mindestens zwei von der Regierung vorab bestimmte Regierungsmitglieder teilnehmen, um Fragen von aktuellem Interesse zu beantworten.
Die Dauer der Fragestunde soll von 90 Minuten auf 45 Minuten verkürzt werden. Fragen zur mündlichen Beantwortung werden gemäß den neu gefassten Regelungen nur dann beantwortet, wenn der Fragesteller bei Aufrufen der Frage anwesend ist.
Bahn frei für mehr Transparenz, Effizienz und Digitalisierung im Gesetzgebungsverfahren?
Die geplanten Änderungen sind die erste große Reform und Modernisierung der GO-BT seit 1980. Verpflichtende Mindestanforderungen an den Inhalt eines Ausschussprotokolls und neue Regelungen zu Auskunftspersonen werden der heutigen Praxis und dem Transparenzgebot gerecht.
Bei einigen Änderungen wird es jedoch auf die jeweiligen Ausschüsse und Abgeordneten angekommen, die Neuregelungen im Geschäftsbetrieb auch tatsächlich umzusetzen:
Es ist zu begrüßen, dass die Regelungen zu digitalen Ausschusssitzungen nun dauerhaft in der GO-BT verankert werden sollen. Die einzelnen Abgeordneten haben jedoch kein Recht darauf, an Ausschusssitzungen in digitaler Form teilzunehmen beziehungsweise abzustimmen. Dies muss zunächst durch Beschluss herbeigeführt werden.
Gleiches gilt für öffentliche Ausschusssitzungen – die Änderungen in der GO-BT legen einen Grundstein für mehr Transparenz und Öffentlichkeit, es liegt jedoch an den Ausschüssen selbst, die Sitzungen durch Beschluss zu öffnen.
Auch die Regelung zur Beifügung von Synopsen bei Gesetzesänderungen aus der Mitte des Bundestags ist nicht verpflichtend. Hinzu kommt, dass die GO-BT lediglich Gesetzesvorhaben des Bundestags regeln kann. Die überwiegende Mehrheit an Gesetzesvorhaben und -änderungen wird jedoch von der Bundesregierung eingebracht, worüber die GO-BT keinen Handlungsspielraum besitzt.
Es zeigt sich, dass es trotz umfassender Bemühungen zur Reformierung und Modernisierung der GO-BT in vielen Fällen auf den einzelnen Abgeordneten ankommen wird, sich für mehr Transparenz, Effizienz und Digitalisierung einzusetzen.