Niedersachsen hat gewählt. Vergangenen Sonntag waren gut 6 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Dabei hat die SPD von Stephan Weil trotz Verlusten die Wahl klar gewonnen und plant, eine Koalition mit den Grünen einzugehen. Nach den vier Landtagswahlen 2022 im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen werfen wir an dieser Stelle einen Blick auf die Zusammensetzung des Bundesrats. Wie hat sich dort die Stimmenverteilung gewandelt? Und was bringt das Wahljahr 2023 für die Mehrheitsverhältnisse im „Parlament der Länderregierungen“?  

Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis geht die SPD mit 33,4% als klare Wahlsiegerin aus der Niedersachsenwahl hervor. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2017 beutet dies einen Verlust von 3,5%. Die CDU fährt mit lediglich 28,1% der Stimmen deutliche Verluste im Vergleich zur letzten Landtagswahl (33,6%) ein. Die Grünen haben wie erwartet ein Rekordergebnis eingefahren und ihr Ergebnis von 8,7% auf 14,5% nahezu verdoppelt. Die AfD konnte ihr Ergebnis von 6,2% auf 10,9% ebenfalls nahezu verdoppeln. Die FDP hat mit 4,7% der Stimmen den Einzug in den Landtag erstmals seit 1998 wieder verpasst. Auch Die Linke hat mit lediglich 2,7% den Sprung über die 5%-Hürde wie schon 2017 nicht geschafft. 

Hinsichtlich der Regierungsbildung ist die sowohl von der SPD als auch von den Grünen favorisierte rot-grüne Koalition rechnerisch möglich. Die erforderliche Mehrheit – 74 von 146 Sitzen – ist mit zusammen 81 Sitzen klar erfüllt. Die Fortsetzung der Großen Koalition aus SPD und CDU ist mit 104 Sitzen zwar ebenfalls möglich, wird aktuell jedoch von keiner der beiden Parteien ernsthaft angestrebt. 

Die Landtagswahl in Niedersachsen war die vierte und letzte Landtagswahl in diesem Jahr. Im Frühjahr wurde bereits im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ein übergreifender Trend lässt sich nach den Wahlen 2022 erkennen: Sowohl in Schleswig-Holstein (Daniel Günther, CDU) als auch Nordrhein-Westfalen (Hendrik Wüst, CDU) und Niedersachsen (Stephan Weil, SPD) waren die Zugkraft der amtierenden Ministerpräsidenten und der damit verbundene Amtsinhaberbonus entscheidende Faktoren. Im Saarland war Anke Rehlinger (SPD) zwar „nur“ amtierende Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Sie profitierte aber nicht zuletzt von der wahrgenommenen Schwäche des Amtsinhabers Tobias Hans (CDU) im Wahlkampf. Es zeigt sich erneut: Starke und bekannte Persönlichkeiten mobilisieren im Wahlkampf besser. Insbesondere in Krisenzeiten wie der aktuellen, in der mehr denn je Vertrauen und Stabilität gefragt sind, scheint dies von zentraler Bedeutung für die Wählerinnen und Wähler zu sein. 

Neues Stimmenverhältnis im Bundesrat: SPD „entledigt“ sich der CDU 

Mit Blick auf den Bundesrat hatte das Wahljahr 2022 auch nicht zu unterschätzende bundespolitische Auswirkungen: Mit dem Saarland (3), Schleswig-Holstein (4), Nordrhein-Westfalen (6) und Niedersachsen (6) waren 19 der insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat neu zu vergeben. Für die CDU bedeutet der Verlust der Regierungsverantwortung in Niedersachsen bereits den zweiten Stimmenschwund im Bundesrat in diesem Jahr. Bereits Ende März musste die CDU im Saarland die Regierungsverantwortung an die SPD abtreten. Für die Stimmenverteilung im Bundesrat bedeuten die Wahlergebnisse, dass der Anteil der unionsgeführten bzw. von der Union mitregierten Bundesländer weiter schwindet: Von ehemals zehn mitregierten Bundesländern vor den Landtagswahlen 2022 bleiben nur noch acht übrig. Die Stimmen der Union im Bundesrat schwinden entsprechend von vormals 48 auf nun 39. 

Die SPD hat im Jahr 2022 zwar keine Bundesratsstimmen dazu gewonnen, hat es jedoch geschafft, sich sowohl im Saarland als auch in Niedersachsen der CDU zu „entledigen“. Die letzten beiden verbliebenen „GroKos“ auf Länderebene sind damit also Geschichte. Die SPD ist weiterhin in elf Bundesländern an der Regierung beteiligt und hat nun ein Mitspracherecht bei insgesamt 42 Bundesratsstimmen. 

Die Grünen konnten ihren Einfluss im Bundesrat 2022 enorm vergrößern. War die Partei vor April 2022 noch an zehn Regierungen beteiligt, regiert sie nun bald in zwölf von 16 Bundesländern mit. Ihre Rolle im Bundesrat wird dadurch immer zentraler: Von 41 Stimmen haben sich die Grünen nach vier Landtagswahlen in diesem Jahr auf 49 Stimmen verbessert. Damit sind sie an lediglich 20 der 69 im Bundesrat zu vergebenden Stimmen nicht beteiligt. 

Sitzverteilung im Bundesrat vor und nach den Landtagswahlen 2022 

Für die Ampel-Koalition sind die Landtagswahlen im Saarland und in Niedersachsen besonders erfreulich, da ein „Durchregieren“ mit Hilfe der Bundesländer im Bundesrat so einfacher wird. Denn je mehr Bundesländer fest in SPD- bzw. Ampel-Hand sind, desto weniger Koordinierungsaufwand ist in der Zusammenarbeit mit den Ländern notwendig. Acht Bundesländer (Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland) mit insgesamt 30 Stimmen werden künftig den sogenannten A-Ländern (=SPD-geführt) zuzuordnen sein, die sich im Zweifel nicht gegen die Ampelregierung stellen werden. In sechs dieser A-Länder regieren die Grünen künftig mit. Nur in Brandenburg hat die Union noch Einfluss auf das Stimmverhalten eines A-Landes. Und mit Thüringen ist ein weiteres Land zwar formal nicht den A-Ländern zuzuordnen, da die Regierung von der Linken geführt wird, jedoch sind mit der SPD und den Grünen auch hier zwei im Bund regierende Parteien beteiligt. Damit kann die Ampel bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen potenziell mit bis zu 34 Bundesratsstimmen mehr oder weniger fest rechnen. Darüber hinaus ist die Rolle Baden-Württembergs nicht zu unterschätzen, welches als einzig grün-geführtes Bundesland im Zweifel den Unterschied machen kann. Die SPD hat damit zwar nach wie vor keine gesicherte absolute Mehrheit im Bundesrat, ist dieser aber 2022 deutlich näher gekommen. Den sogenannten B-Ländern (=unionsgeführt) gehören künftig nur noch sechs Bundesländer mit insgesamt 29 Stimmen an: Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Der Vollständigkeit halber sei hier aber ebenfalls auf die Rolle Baden-Württembergs verwiesen, das mit seinen Stimmen grundsätzlich auch den B-Ländern die notwendige absolute Mehrheit von 35 Stimmen verschaffen könnte.  

2023 stehen dann weitere Landtagswahlen an. So wird unter anderem in zwei B-Ländern, Bayern und Hessen, gewählt. Zwar ist aktuell nicht davon auszugehen, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen in diesen Bundesländern etwas so fundamental ändern wird, dass die Union dort ihren Vorsprung vor der SPD einbüßt. Die Schnelllebigkeit des politischen Geschäfts kann aber dafür sorgen, dass auch sicher geglaubte Mehrheiten plötzlich ins Wanken geraten. So könnten beispielsweise die Grünen in Bayern als einziger Koalitionspartner für die CSU in Frage kommen, sollte es für ein Bündnis mit den Freien Wählern nicht mehr reichen. Damit wären die Grünen als Teil der Ampel-Regierung an einem weiteren Schwergewicht im Bundesrat direkt beteiligt. Genauso kann sich aber auch für die SPD im nächsten Jahr etwas an den Stimmanteilen im Bundesrat wandeln. Zwar ist für die Bürgerschaftswahl in Bremen am 14. Mai 2023 aktuell nicht damit zu rechnen, dass die rot-rot-grüne Koalition abgewählt wird. Jedoch könnte eine vierte noch nicht endgültig feststehende Wahl 2023 noch dazu kommen und zumindest dafür sorgen, dass die SPD ein A-Land an die Grünen abtreten muss: Berlin. Dort steht die endgültige Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über die Wahlwiederholung zwar weiter aus, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Hauptstadt nach dem Wahlchaos noch einmal an die Urnen treten müssen. In den aktuellen Umfragen zum Abgeordnetenhaus liegen die Grünen teils deutlich vor der SPD, weshalb Franziska Giffey im Falle von Neuwahlen um ihren Job als Regierende Bürgermeisterin Berlins bangen muss. Es bleibt also spannend – nicht nur auf Ebene der Landesparlamente, sondern auch was die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat angeht. 

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