Vor zwei Wochen hat die Bundesregierung ihre lange erwartete Digitalstrategie beschlossen. Darin wird unter anderem ein Vorhaben konkretisiert, das bereits im Koalitionsvertrag zu finden war: Mit einem „Gesetz gegen digitale Gewalt“ soll künftig konsequenter gegen Hass und Hetze im Netz, insbesondere in sozialen Netzwerken, vorgegangen werden. So sollen mit dem Gesetz „rechtliche Hürden für Betroffene“ sowie „Lücken bei Auskunftsrechten“ abgebaut werden. Außerdem sollen „die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung“ geschaffen sowie „richterlich angeordnete Accountsperren“ ermöglicht werden. Insbesondere letzteres würde für Betreiber sozialer Netzwerke einen großen Eingriff in ihre Plattformhoheit bedeuten. Gerichte könnten ihnen das Löschen von Accounts vorschreiben, wenn diesen Accounts von Nutzerinnen und Nutzern sozialer Netzwerke die Verbreitung von Hasskriminalität vorgeworfen wird.

In Deutschland dient bislang das 2017 eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zur Bekämpfung von Hasskriminalität und anderer strafbarer Inhalte im Netz. Das NetzDG sieht unter anderem konkrete Löschfristen und Meldepflichten verdächtiger Inhalte an das Bundeskriminalamt (BKA) vor, die aufgrund von Klagen zahlreicher Plattformen, wie Facebook, Google, YouTube und TikTok, aktuell ausgesetzt sind. Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion werde das NetzDG jedoch weitgehend durch den Digital Services Act (DSA) ersetzt, aufgrund seiner „vollharmonisierenden Wirkung“.

Der DSA gilt voraussichtlich ab Anfang 2024 (15 Monate nach seinem Inkrafttreten), für besonders große Plattformen mit monatlich mehr als 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern werden die darin formulierten rechtlichen Anforderungen teilweise schon früher wirksam. Dem finalen Entwurf des DSA zufolge müssen künftig umfangreiche Kontakt- und Beschwerdemöglichkeiten durch die Betreiber sozialer Netzwerke angeboten werden, um es Nutzerinnen und Nutzern zu ermöglichen, Beleidigungen und Drohungen direkter und schneller zu melden. Konkrete Löschfristen sowie Meldepflichten an Justiz- und Strafverfolgungsbehörden sieht der DSA im Gegensatz zum deutschen NetzDG nicht vor. Auch richterlich angeordnete Accountsperren sind im DSA nicht vorgesehen. Statt bei den Gerichten sieht der DSA hier die Verantwortung bei den Plattformen selbst: So heißt es in Artikel 20 des finalen Entwurfs, dass Online-Plattformen Nutzerinnen und Nutzer, „die häufig offensichtlich illegale Inhalte bereitstellen“, „für einen angemessenen Zeitraum nach vorheriger Warnung“ sperren sollen. Dies reicht der Bundesregierung offenbar nicht, wie sie bereits in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion verlauten ließ: So habe ihr Anliegen, richterlich angeordnete Accountsperren zu ermöglichen, auch deshalb keine Berücksichtigung im DSA gefunden, weil dessen allgemeine Ausrichtung „bereits vor Veröffentlichung des Koalitionsvertrags abgeschlossen“ gewesen sei. Die Bundesregierung wolle deshalb prüfen, „inwieweit richterlich angeordnete Accountsperren im nationalen Recht umgesetzt werden können.“

Das Vorhaben ist der Bundesregierung also so wichtig, dass sie über die im DSA formulierten Anforderungen hinausgehen möchte. Betreiber von Online-Plattformen und insbesondere sozialer Netzwerke sollten die Entwicklung und weitere Ankündigungen der Bundesregierung bezüglich dieses Vorhabens daher sehr eng begleiten. Denn sollte eine entsprechende gesetzliche Regelung eingeführt werden, hätten Nutzerinnen und Nutzer von Online-Plattformen zukünftig das Recht, im Rahmen zivilrechtlicher Verfahren Sperren von Accounts durchzusetzen, die illegale Inhalte verbreiten. Dadurch wird eine neue Aufteilung der Verantwortung zwischen Plattformbetreibern und Staat notwendig, deren praktische Umsetzbarkeit sichergestellt werden muss.

Laut ihrer Digitalstrategie will sich die Bundesregierung bis 2025 daran messen lassen, ob „das Gesetz gegen digitale Gewalt und die entsprechenden Beratungsangebote den Betroffenen wirksame Unterstützung bieten, um sich gegen digitale Gewalt zu wehren.“ Nach einer umfassenden rechtlichen Prüfung wird das für die Umsetzung des Gesetzes zuständige Bundesministerium für Justiz (BMJ) schon bald einen ersten Gesetzentwurf erarbeiten. Betreiber potenziell betroffener Plattformen sollten deshalb bereits jetzt das Gespräch mit den zuständigen Personen im BMJ suchen. Nur durch eine von Beginn an enge Begleitung des legislativen Prozesses kann eine Form der Verantwortungsaufteilung zwischen Plattformbetreibern und Staat erreicht werden, die positiv in die Praxis umgesetzt werden kann.

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