Die neue Bundesregierung ist zwar bereits seit etwas mehr als einer Woche offiziell im Amt, doch es wird noch bis ins kommende Jahr hinein dauern, bis sie mit der legislativen Umsetzung ihres Koalitionsvertrags beginnt. In der Energiepolitik sollen und müssen dann bereits im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode zentrale Vorhaben der Ampelkoalition in Gesetze gegossen werden, um die ehrgeizigen Ziele erreichen zu können. Für einige Maßnahmen haben sich die Koalitionäre sogar bereits einen konkreten Zeitrahmen gesetzt.

 


Für die politische Interessenvertretung ist das Chance und Herausforderung zugleich: Durch den ambitionierten Zeitplan ist der Gesetzgeber noch stärker auf externe Expertise bei der Gesetzesformulierung angewiesen. Andererseits steigt durch den enormen Zeitdruck die Gefahr, dass Folgen einer Regulierung nicht mit der gebotenen Sorgfalt abgewogen werden und unpraktikable Vorgaben beschlossen werden.

Die Dringlichkeit für die Bundesregierung ergibt sich aus drei Faktoren:

  1. Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag bereits konkrete Deadlines für die Umsetzung einzelner energiepolitischer Maßnahmen gesetzt.
  2. Wiederum andere Zielsetzungen sind mit einer erheblichen Vorlaufzeit verbunden und müssen daher zeitnah in die Wege geleitet werden.
  3. Der Einfluss energiepolitischer Maßnahmen auf die klimapolitischen Ziele wird nur sehr verzögert messbar sein. Je früher die neue Regierung also Erfolge vorzeigen kann, desto besser ihre Wiederwahlchancen 2025.

 

Was erwartet uns also im ersten Ampeljahr? Zunächst einmal werden die Regierung und vor allem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz priorisieren müssen, welche Maßnahmen zuerst in die Wege geleitet werden sollen. Basierend auf den drei oben genannten Einflussfaktoren gehören dazu vor allem folgende Vorhaben:

  1. Sofortprogramm zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien

Der Koalitionsvertrag sieht vor, bereits im ersten Halbjahr 2022 „alle notwendigen Maßnahmen“ anzustoßen, die zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus beitragen. Konkret wird unter anderem die „Bereitstellung der dafür notwendigen Flächen“ erwähnt, auf denen Freiflächen-Solaranlagen und Windkrafträder gebaut werden können. Vor dem Hintergrund höherer Ausbauziele im Photovoltaik-Sektor („ca. 200 GW bis 2030“) und dem ehrgeizigen Ziel, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie auszuweisen, gilt es, zeitnah die notwendige regulatorische Grundlage zu schaffen. Zentrale Herausforderung neben der Finanzierungsfrage bleiben der notwendige Netzausbau und die Auflösung von Zielkonflikten wie dem zwischen Windkraft-Ausbau und Naturschutz. Außerdem plant die Bundesregierung, im kommenden Jahr konkrete Vorschläge zur Einrichtung einer „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ zu machen, einer Stakeholder-Plattform, die ein neues Strommarktdesign erarbeiten soll.

  1. Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)

Die Ampelkoalitionäre haben den politischen Konsens zur Abschaffung der EEG-Umlage im Koalitionsvertrag verankert und wollen sie zum Stichtag 1. Januar 2023 in eine Finanzierung aus dem Bundeshaushalt überführen. Zu diesem Zweck müssen entsprechende Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgenommen werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, den Gesetzgebungsprozess dazu zu nutzen, weitere Anpassungen am EEG vorzunehmen. Es ist gut möglich, dass eine EEG-Novelle ebenfalls im Rahmen des oben genannten Maßnahmenpakets verabschiedet wird.

  1. Fahrplan zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft

Neben dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren setzt die Bundesregierung weiterhin auf Wasserstoff als klimaneutralen Nachfolger fossiler Brennstoffe. Bis 2030 soll Deutschland „Leitmarkt für Wasserstofftechnologien werden“. Das oberste Ziel ist laut Koalitionsvertrag ein schneller Markthochlauf. Aufgrund der zu erwartenden langen Vorlaufzeit zur technischen Umsetzung der Wasserstoffinfrastruktur müssen die entsprechenden regulatorischen Grundlagen zeitnah gelegt werden. Dazu gehört auch die Frage, wie die Bundesregierung eine „technologieoffene Ausgestaltung der Wasserstoffregulatorik“ definiert, welche Produktionsvarianten neben der Elektrolyse also noch vorgesehen sein werden. Festgelegt hat man sich bereits darauf, dass die Wasserstoffstrategie im kommenden Jahr „fortgeschrieben“ werden soll.

  1. Regulatorische Rahmenbedingungen für den Zubau moderner Gaskraftwerke

Vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Atomenergie und der Kohleverstromung hat sich die Ampelkoalition darauf geeinigt, neue Gaskraftwerke zu bauen. Diese sollen den Ausbau der Erneuerbaren begleiten und den steigenden Strom- und Energiebedarf „zu wettbewerbsfähigen Preisen“ decken. Jüngste Studien gehen davon aus, dass die derzeit vorgesehenen Kapazitäten bis 2030 um das zehnfache vergrößert werden müssen. Um die Kraftwerke zukunftssicher zu machen und Fehlinvestitionen zu vermeiden, sollen die Anlagen H2-ready, also bereit für den Einsatz von Wasserstoff geschaffen sein. Die Inbetriebnahme eines Gaskraftwerks benötigt jedoch eine gewisse Vorlaufzeit, die auch bei einer Entbürokratisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren mehrere Jahre in Anspruch nehmen werden. Daher muss die Bundesregierung zeitnah klären, an welchen Standorten die Kraftwerke gebaut werden, wie Investitionsanreize gesetzt werden und wie „H2-ready“ definiert werden soll.

Der neue Bundesminister Robert Habeck und die Ampelkoalition werden also bereits in ihrem ersten Regierungsjahr viel zu tun haben, um ihre Ziele in einem Schlüsselbereich erfüllen zu können und die Grundlage für die weitere Legislaturperiode zu schaffen. Doch schon bei der Priorisierung der Maßnahmen wird es Debatten geben. Politische Interessenvertretung muss daher bereits frühzeitig ansetzen und darf nicht darauf hoffen, dass der Koalitionsvertrag von nun an einfach so umgesetzt wird.

 

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