Im Frühjahr 2020 haben Sie noch unter „normalen Bedingungen“ Wahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft gemacht. Mittlerweile findet der Wahlkampf pandemiebedingt überwiegend online statt. Hat sich die Art des Wahlkampfs aus Ihrer Sicht dadurch signifikant geändert oder lag Ihr Fokus ohnehin schon längst auf digitalen Tools?

Um die Frage zu öffnen und nicht nur auf mich zu schauen: Corona hat unseren Wahlkampf verändert und wir haben uns alle lange nicht gesehen. Durch die lange Zeit haben wir alle viel Energie gesammelt, die jetzt alle auch mit raus auf die Straße bringen wollen. Ich glaube, dass diese Zeit der Pandemie auch auf jeden Fall dafür sorgt, dass wir einen anderen, einen energetischeren Wahlkampf auf die Beine stellen können.

In den 5 Jahren vor der Bürgerschaftswahl 2020 habe ich bereits viel Wahlkampf für alle politischen Ebenen und für die verschiedensten Parlamente bei den Grünen gemacht, insbesondere mit der Grünen Jugend. Dadurch war ich schon immer viel digital unterwegs. Insbesondere für die jugendliche Community fand der Wahlkampf über Social Media und die Bebilderung von Texten online statt, um so eine größere Reichweite zu erzielen.
Für die Bundestagswahl haben wir früh den Fokus auf YouTube als digitales Tool gelegt. Mit dem Kanal „Grün hinter den Ohren“ möchten wir den nächsten Schritt gehen. Zusätzlich nutzen wir Instagram als Medium, um die jugendliche Zielgruppe anzusprechen. Für mich ist auch genau das das wichtigste Ziel in diesem Wahlkampf: Jugendliche ansprechen, weil ich für die Jugend in den Bundestag möchte. Ich hoffe, dass sich viele davon eine Scheibe abschneiden und wir alle mehr darauf achten, die Jugend mitzunehmen in diesem Wahlkampf, da es schließlich um unsere Zukunft geht und wir diese gemeinsam gestalten sollten.

Wenn Sie bereits in der Vergangenheit vor allem Social-Media-Kanäle genutzt haben, bauen Sie dann aktuell eher auf die bestehende Community auf oder müssen Sie pro Plattform eine neue Community aufbauen und so neue Leute gewinnen?

Sowohl als auch! Mit dem YouTube Kanal „Grün hinter den Ohren“ haben wir neu angefangen, aber es gibt durchaus einige innerhalb unserer Community, die schnell mit uns auf die neue Plattform umsatteln. Bei anderen Plattformen gibt es sehr etablierte große Abonnentenzahlen, die uns gerne zuhören und gerade auf Twitter gelingt es uns auch manchmal aus der eigenen „Bubble“ auszusteigen.

Viele der Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen bei dieser Bundestagswahl sind jünger und sorgen durch die eigene Schwerpunktsetzung für eine Verschiebung der Themen im Wahlkampf. Glauben Sie, dass es nach der Wahl auch zu einer Verschiebung der Schwerpunktthemen innerhalb der Bundestagsfraktion kommen wird?

Ich glaube, wir alle bringen das Thema „Generationengerechtigkeit“ mit. Corona hat uns sehr stark gezeigt, dass die Perspektive junger Leute weitestgehend ignoriert wird von der aktuellen Politik. Wir wissen auch, dass das aktuelle Wahlrecht ungefähr 16% der Bevölkerung davon ausschließt, an demokratischen Möglichkeiten wie einer Wahl teilzunehmen. Denn diese 16% sind unter 18 Jahre alt und dürfen deswegen nicht wählen. Diese Gruppe weiß jedoch, dass die Politik auch ihr Leben mitgestaltet, und deswegen brauchen wir mehr Generationengerechtigkeit. Das ist das, was eine junge Fraktion oder die Vertreter der Grünen Jugend in der Bundestagsfraktion ganz klar mitbringen und diese Perspektiven auch einbringt, die momentan so sehr fehlen in der derzeitigen Politik.

Diese Gruppe kann sich dann für vernünftigen Klimaschutz einsetzen, der unsere Lebensgrundlage retten kann, für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und für einen Generationenvertrag, der dafür sorgt, dass meine Rente höher ist als 226 Euro. All das sind Fragen, die die jüngeren Abgeordneten stärker mit einbringen werden und deshalb freue ich mich auch, dass wir so viele junge Leute auf der Bundesebene sind, die jetzt zusammen mit der Grünen Jugend eine große Gerechtigkeitskampagne durchführen und genau diese Gerechtigkeits- und Generationsgerechtigkeitsfragen diskutieren wollen.  

Noch eine weitere Frage mit dem Blick darauf, wie die zukünftige Bundestagsfraktion aussehen könnte. Wird es sich bemerkbar machen, dass viele jüngere Kandidatinnen und Kandidaten mit einem eher aktivistischen Hintergrund, vertreten sind, während gleichzeitig die Parteispitze eher als vermeintlich „Realo“ gilt?

Die Grüne Partei ist dafür bekannt, für sehr viele Meinungen Platz zu finden. Wir sind es gewohnt, Debatten zu führen und dann auch gemeinsam Lösungen zu finden. Ich glaube, dass dieser Platz, den die Debatten innerhalb unserer Partei einnehmen, auch innerhalb der Fraktion eingenommen wird und unsere Basisdemokratie dafür ein Erfolgskonzept ist.

Annalena Baerbock und Robert Habeck als Führungsebene die „vermeintlich so realo“ ist, führen die Partei und nutzen hierfür auch die Basisdemokratie als Grundlage. So stelle ich es mir auch innerhalb der Fraktion vor. Unsere Aufgabe als Grüne Jugend ist es, ab und zu den Finger in die Wunde zu legen und auf progressive Ideen zu achten, auf diese zu pochen und ein Gegengewicht zu sein. Das wichtigste für den Wahlkampf ist jetzt, dass wir uns in den Kernfragen immer einig sind. Das wäre unser Einsatz gegen die Klimakrise und das wir für soziale Gerechtigkeit und den Feminismus streiten. Mit unserem Wahlprogramm, dass wir gemeinsam beschlossen haben, wollen wir nun gemeinsam an einem Strang ziehen und deshalb bin ich guter Dinge, dass wir Schulter an Schulter die Union aus dem Kanzleramt bekommen und dann für den schnellst-wirksamsten und gerechtesten Koalitionsvertrag jemals streiten. Danach können wir uns auch wieder über Detailfragen streiten, aber zunächst ist bei dieser Wahl erst einmal alles drin.

Glauben Sie denn, dass diese Generationenthemen auch die gleiche Wertschätzung wie zum Beispiel Wirtschaft- oder Außenpolitik erhalten werden, obwohl sie vermeintlich nur einen Teil der Bevölkerung ansprechen?

Ich würde sagen, dass in diesem Thema unsere Gesellschaft sehr geteilt ist. Die Themen, die ich eben angesprochen habe, wo zum Beispiel auch die Klimadebatte dazugehört, werden in der Gesellschaft sehr breit diskutiert. Dieses Thema war auch der EU-Wal entscheidend und dies hat sich insbesondere auch in der Jugendbewegung wie zum Beispiel bei „Fridays for Future“ gezeigt. Ein anderes Thema, welches weniger breit diskutiert wurde, ist der „Queerfeminismus“, der nicht in allen Bereichen der Gesellschafft präsent ist. Gerade aus dem Teil des konservativen Spektrums wird das Thema oft abgetan und nicht ernstgenommen. Es gibt dort eine Diskussion über die „Gendersprache“ und wird dargestellt als sei dies etwas völlig Abstruses. In anderen Teilen der Gesellschaft wird dies wiederum viel stärker wertgeschätzt, wie man auch an den Menschen sieht, die am 8. März auf die Straße gehen und dafür kämpfen. „Queerfeminismus“ ist ein grünes Kernthema, dem wir Aufmerksamkeit geben wollen. Als Beispiel haben wir auch in Hamburg eine große feministische Aktion veranstaltet, bei der wir auf großflächigen Plakaten über Schwangerschaftsabbrüche informiert haben. Wir haben viel Zuspruch dafür erhalten, dass wir uns gegen die Paragrafen 218 und 219a eingesetzt haben und über Schwangerschaftsabbrüche informiert haben. Denn Fachärzt:innen dürfen das leider immer noch nicht. Dadurch wird das Thema diskutiert, auch wenn manchmal angezweifelt wird, dass es überhaupt ein wichtiges Thema sei, sich für die Gleichberechtigung einzusetzen. Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe.

Die Rolle eines Bundestagsabgeordneten wird einem nicht beigebracht. Was tun Sie vielleicht jetzt schon um sich auf Ihre neue Rolle vorzubereiten? Bei einer erfolgreichen Wahl – wie sieht Ihr Plan jetzt und in den ersten zwei Wochen danach aus, um dieser Rolle gerecht zu werden?

Die Vorbereitungen laufen bereits jetzt schon. Ich stehe im Austausch mit politischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus ganz Deutschland wie auch bisherigen Abgeordneten, um mich fachlich auf die Aufgabe vorzubereiten. Hier gibt es einige Angebote durch die Partei, aber ich spreche auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder Expertinnen und Experten zu für mich wichtigen Themen. Besonders hilfreich ist dabei, dass Bündnis 90/Die Grünen in ihren Gremien schon immer mit Expertinnen und Experten zusammengearbeitet hat, die dafür sorgen, dass wir ein sehr großartiges, sehr evidenzbasiertes Programm als Partei haben.

Darüber hinaus gibt es eine starke Vernetzung mit den anderen Grüne Jugend-Kandidierenden. Innerhalb dieser Vernetzung ergibt sich dann auch mit wem man gut zusammenarbeiten kann und auch welche Bündnisse man pflegen muss, um dann im Mandat Dinge umsetzen zu können. In diesem Prozess des Vorbereitens geht es auch darum, die Zukunft des YouTube Kanals „Grün hinter den Ohren“ zu diskutieren, meine Rolle als Abgeordnete in der Stadt Hamburg zu definieren, aber auch wo ich mich in Netzwerken in Berlin einklinken kann. Die Vorbereitungen sind hierfür bereits auf Hochtouren am Laufen und ich bin froh, dass ich ein Team habe, mit dem ich mich auch beraten kann.

Woher beziehen Sie in der Vorbereitung Ihre Informationen? Ist Social Media wie zum Beispiel YouTube oder Twitter hierfür ein Weg, um ein Gefühl für Themen zu bekommen oder beziehen Sie die Informationen überwiegend über die parteiinternen Kanäle?

Am meisten hilft mir der Austausch mit Fachpolitikerinnen und -politikern, weil diese tief in der Materie stecken. Dementsprechend entsteht ein interner Austausch mit fachkompetenten Mitgliedern. Das heißt allerdings nicht, dass man sich nur innerhalb der „grünen“ Blase bewegt. In den Arbeitsgemeinschaften sitzen Expertinnen und Experten aus allen Bereichen des Lebens. In dieser Hinsicht ist auch die Basis unserer Partei sehr fachlich orientiert und es wird einem ermöglicht sich schnell in diese Netzwerke hineinzufinden, um sich dort weiter kundzutun. Ich bin nun schon lang genug in der Politik, damit ich mir kein YouTube Video mehr anschauen muss, aber ich höre Menschen gerne zu, wenn sie auf mich zukommen, so ist ja auch dieses Gespräch zustande gekommen. Ich will keine Politik für Lobbys machen, sondern Politik für Menschen machen und von den Menschen für die Menschen versuchen in das Parlament zu kommen, dass repräsentativ sein soll. Dementsprechend ist der Austausch mit jungen Menschen für mich besonders wichtig.

Eine weitere spannende Phase werden die Koalitionsverhandlungen. Sie waren bereits 2020 in Hamburg mittendrin. Was waren daraus Ihre größten „Key Learnings“, die Sie mitgenommen haben?

Für mich war eine wichtige Erkenntnis, dass ein Kompromiss nicht gleich ein Kompromiss ist. In der Grünen Jugend nach einem Kompromiss zu suchen ist etwas anderes, als als Grüne Partei mit der SPD einen Kompromiss zu finden. In der Grünen Jugend stehen wir alle auf einem sehr ähnlichen Wertekonstrukt, sodass wir überwiegend über Detailfragen streiten.

Für eine Koalition mit der SPD Kompromisse auszuhandeln, war für mich etwas Anderes. Obwohl wir als Parteien beide links der Mitte stehen, haben wir sehr unterschiedliche Ideale gehabt. Das merkt man auch, wenn man die beiden Wahlprogramme nebeneinanderlegt. Da habe ich für mich einen Crashkurs erlebt, wie eine Kompromissfindung auf dieser Ebene stattfindet. Gleichzeitig habe ich aber auch ein demütiges Gefühl erlebt, zu verstehen, wie wichtig es in einer Demokratie ist, ausreichend um diese Kompromisse zu ringen, damit sich etwas bewegt.

In der Politik geht es genau darum: Kompromisse zu finden und sich darum zu bemühen, gangbare Wege zu finden. Daraus habe ich auch viel für den kommenden parlamentarischen Betrieb mitgenommen und werde es gerne im kommenden Bundestag einbringen.

War Ihre inhaltliche Vorbereitung für die Koalitionsverhandlungen in Hamburg überwiegend durch die innerparteilichen Strukturen sowie Expertinnen und Experten geprägt oder haben Sie auch externe Stellungnahmen von Verbänden und Unternehmen erhalten?

Meine Rolle in den Koalitionsverhandlungen in Hamburg war eine andere als sie es jetzt für den Bundestag sein wird. Ich war die Vertreterin der Grünen Jugend und nun bin ich heute Kandidatin der Grünen und der Grünen Jugend zugleich. Damals saß ich explizit als Vertreterin der hamburgischen Jugend in den Koalitionsverhandlungen. Entsprechend lief die Vorbereitung sehr stark über den Jugendverband. An dieser Stelle hat es sich im Hinblick auf die Bundestagswahl nun verbreitert, weil ich mich auch einfach bundesweit noch stärker vernetzt habe.