Regelmäßig möchten wir auf unserem Blog neben unserem eigenen Blick auf die Themen auch andere Perspektiven beleuchten und Externe zu Wort kommen lassen. Heute veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Lutz Wildermann, Head of Agriculture bei Klim:

Das Berliner Start-up „Klim“ entwickelt eine digitale Plattform und ein Verbraucherlabel für eine klimapositive Landwirtschaft. Über das Label werden Betriebe finanziert, die durch Humusaufbau CO2 langfristig aus der Atmosphäre entfernen.

„Was wäre, wenn wir den Klimawandel beerdigen könnten? Was zunächst abwegig erscheint, ist auf den zweiten Blick eine ernst zu nehmende Option. Gemeint ist damit aber nicht, CO2 in alte Bergstollen einzulagern. Vielmehr geht es hier um eine naheliegende biologische Variante: Humusaufbau in landwirtschaftlichen Böden.

Durch den im Humus gespeicherten Kohlenstoff kann das von den Pflanzen aufgenommene CO2 dauerhaft in den Boden eingebracht werden. Neben der klassischen Aufforstung ist dies eine der wenigen “nature based solutions”, die uns die Erde zur Verfügung gestellt hat.

Konsequent angewendet könnten durch Humusaufbau 4-11 Gigatonnen aus der Atmosphäre absorbiert werden. Jährlich. Zum Vergleich: Die Emissionen Europas und der USA ließen sich damit kompensieren. Ebenfalls jährlich.

Daneben geht die CO2-Speicherung durch Humusaufbau mit einer Vielzahl positiver Effekte einher. So wird die Nährstoff- und Wasserspeicherfähigkeit des Bodens erhöht. Die Verbesserung der Wasserspeicherfähigkeit ist zugleich eine Versicherung gegenüber Wetterextremen. Und es lassen sich Nährstoffauswaschungen reduzieren, sodass vorhandene Nährstoffe effizienter genutzt werden. Dadurch verbesserte Ernteerträge führen wiederum zu einer höheren CO2-Speicherleistung. Somit schließt sich der Kreis. Und aus dem Klima-Teufelskreis wird so der Herkules-Zirkel des Humus.

Wer in der landwirtschaftlichen Praxis verstärkt Humus aufbauen will, der kommt an den Prinzipien der sogenannten “regenerativen Landwirtschaft” kaum vorbei. Diese Prinzipien fußen auf einem Bündel an Maßnahmen, wie z.B. eine dauerhafte Bodenbedeckung, eine Aktivierung der Bodenlebewesen und einer minimalen Bodenstörung. Obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, verfolgt heutzutage nur ein Bruchteil der Betriebe diese Maßnahmen konsequent. Das liegt unter anderem an einer fehlenden Vermittlung des Wissens in der agrarwirtschaftlichen Ausbildung, aber auch an einem fehlenden Netzwerk aus regionalen Praktikern. Hinzu kommt, dass es nur wenige Experten der regenerativen Landwirtschaft in Deutschland gibt, die ihr Wissen weitergeben. Und zu guter Letzt mangelt es einer angemessenen Überbrückungsfinanzierung. Denn: Humusaufbau ist ein Langstreckenlauf. Bis sich die positiven Effekte bemerkbar machen, vergehen einige Jahre. In diesen Jahren verzichtet der Landwirt auf der einen Seite auf Erträge, indem er beispielsweise Flächen zur Regeneration brach liegen lässt. Auf der anderen Seite hat er höhere Aufwendungen, zum Beispiel für sogenannte Winterzwischenfrüchte, damit der sonst nackte Boden vor den Witterungsbedingungen geschützt wird.

Genau hier setzt die Klim-App als digitaler Begleiter für die regenerative Landwirtschaft an: Landwirte erhalten Zugang zu maßgeschneiderten Wissensartikeln, die zu den Besonderheiten und Bedürfnissen ihres Betriebs passen. Zudem können sie sich mit Praktikern aus ihrer Region austauschen. Und sie erhalten eine finanzielle Vergütung für die mit der Anwendung regenerativer Praktiken einhergehende CO2-Speicherleistung.

Die Einnahmen generiert Klim über ein Label für klimapositive Produkte, mit denen Lebensmittelunternehmen die regenerative Landwirtschaft unterstützen können. Durch die Labelgebühr wird die Umsetzung regenerativer Maßnahmen der Landwirte finanziert, sodass das Produkt netto mehr Emissionen aus der Atmosphäre entzieht, als es durch die Produktion emittiert. Durch die Vergabe des Lebensmittellabels wird zudem die Klimaleistung der Landwirte Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber sichtbar gemacht.

Das Potenzial der regenerativen Landwirtschaft hat auch die Europäische Union (EU) für sich erkannt: Bis 2023 soll ein rechtlicher Rahmen zur Zertifizierung von landwirtschaftlichen CO2-Speicherleistungen verabschiedet werden. Weiterhin will die EU Modelle zur Subventionierung des CO2-Speicherpotentials entwickeln. Die Ambitionen sind lobenswert. Ein einheitlicher rechtlicher Rahmen zur Zertifizierung schafft Klarheit. Dem Wildwuchs an unterschiedlichen und teils fragwürdigen Standards kann so Einhalt geboten werden. Allerdings sind es die Landwirte, die die Dokumentation erledigen müssen. Werden sie mit bürokratischen Regeln überfrachtet, wird kaum Humusaufbau auf landwirtschaftlichen Flächen stattfinden.

Hinzu kommt: Wollen sich Unternehmen die CO2-Speicherleistung aus Klimaschutzprojekten in der eigenen Bilanz anrechnen lassen, müssen sie nachweisen, dass die Speicherleistung nur aufgrund ihres Engagements als zusätzliche Leistung entstanden ist. Eine direkte Subventionierung von Maßnahmen zum Humusaufbau würde genau diese Anrechenbarkeit gefährden, da der zweifelsfreie Nachweis der Zusätzlichkeit massiv erschwert würde. Unternehmen würde mithin ein elementarer Anreiz genommen, in privatwirtschaftliche Klimaschutzprojekte zu investieren.

Zudem lässt eine direkte Subventionierung Landwirte weiterhin als reine Empfänger von staatlichen Unterstützungsleistungen erscheinen. Die Akzeptanz für derartige Unterstützungsleistungen ist gerade deswegen unter Landwirten berechtigterweise gering. Zu oft wurden sie in der Öffentlichkeit als Handaufhalter diffamiert. Vielmehr wollen sie als eigenständige Unternehmer anerkannt werden, die Lösungen für Klima- und Umweltprobleme bereitstellen.

Diese Positionierung gelingt nur, wenn Landwirte und Lebensmittelproduzenten Hand in Hand daran arbeiten, das Gute, das die Landwirte tun, den Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber sichtbar zu machen. Anstatt privatwirtschaftlichen Initiativen das Wasser abzugraben, sollte die EU daher einheitliche und transparente Regeln erlassen, die eine breite Anrechenbarkeit von CO2-Speicherleistungen ermöglichen, für Verlässlichkeit und Planungssicherheit sorgen und Doppelanrechnungen von CO2-Speicherleistungen z.B. durch digitale Register, verhindern. In diesem Zusammenhang täte die EU einmal mehr gut daran, sich mehr als Schiedsrichter und weniger als aktiver Teil des Spiels zu begreifen.”