In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Transfer haben unsere Experten für Verbraucherpolitik, Timm Bopp und Robin Arens, ein Schlaglicht auf die Werberegulierung aus politischer Perspektive geworfen. Sie haben analysiert, wie sich die Debatte um die Werbung und der damit einhergehenden Verbraucherschutzpolitik über die Zeit entwickelt hat.

Die heutige Regulierung ist demnach aus drei Gründen beinahe zwingend:

  1. Werbung und Werberegulierung wurde lange Zeit in Deutschland vor allem unter dem Aspekt der Wettbewerbspolitik verhandelt. Erst in den vergangenen 30 Jahren wurde Werbung und damit auch ihre Regulierung unter den Gesichtspunkten der Verbraucherschutz- bzw. Gesundheitspolitik betrachtet.
  2. Die Veränderung der Betrachtungsweise korrelierte mit einer Verschiebung des Verbraucherleitbildes bei den politischen Akteuren. War vormals der mündige Verbraucher das Idealbild, so haben Parteien und Politiker entweder heutzutage gar kein festes Verbraucherleitbild mehr oder eines in dem die Verbraucher deutlich mehr unterstützt bzw. geschützt werden müssen.
  3. Als dritter Aspekt kommt die Internationalisierung von politischen Verfahren hinzu, sodass sich das Akteursspektrum verbreitert und damit sowohl die Anzahl der Verfahren unübersichtlicher und auch die Argumente vielfältiger geworden sind. Nicht das sich alle Verfahren nun auf internationaler Ebene entscheiden und die nationale Politik überhaupt keinen Gestaltungsspielraum mehr hat. Aber dennoch sind diese grundlegenden Festlegungen auf der suprastaatlichen Ebene zu analysieren und bei der Begleitung solcher Verfahren ebenfalls zu beachten.

Zusammengenommen lässt sich so erklären, weshalb Werberegulierung für politische Entscheider in den letzten Jahren verstärkt eine attraktive oder gar notwendige Option geworden ist. Die Wahrnehmung in der Bundespolitik hat sich geändert und internationale Vorgaben machten es teilweise unabdingbar sich mit diesen Maßnahmen zu beschäftigen oder sie umsetzen.

Die nächste Legislaturperiode

Doch wie adressieren die Parteien Werberegulierung und Verbraucherschutzpolitik in den aktuellen Programmentwürfen zur anstehenden Bundestagswahl? Wir testen im Folgenden unsere Annahmen an den aktuell vorliegenden Vorschlägen der Parteien.

Bis auf den Vorschlag der FDP hat keiner der bisher vorgelegten Entwürfe ein konkretes Verbraucherleitbild benannt. Aber selbst die Liberalen beschreiben ihr Leitbild als das eines „realistischen Verbraucherleitbildes“. Zwar bleibt der Verbraucher hier mündig aber muss er durch Übersichtlichkeit, Transparenz im Markt und mehr Informationen erst dazu befähigt werden selbstbestimmt eine Entscheidung zu treffen. Daher spricht sich die Partei auch nicht für Werbeverbote aus, sondern für weitere Maßnahmen (wie z.B. einfaches, transparentes und verpflichtendes Tierwohllabel) um dem Verbraucher vermeintlich fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.

Bei SPD, Grünen und der Linken – die Union hat bisher noch kein Programm vorgelegt – wird zwar nicht explizit ein Leitbild beschrieben, doch wird der Verbraucherschutz immer wieder hervorgehoben. Es spricht also einiges für die These, dass hier auch ein Verbraucherleitbild vorliegt, welches weitere Regulierungen begründet, die die Handlungsoptionen der Unternehmen weiter einschränkt.

Bei den konkreten Maßnahmen zur Regulierung der Werbung benennt die SPD die Notwendigkeit Kitas und Schulen zum werbefreien Raum zu machen, während die Grünen klare Regeln für die Werbung für Lebensmittel anhand der WHO-Kriterien definieren wollen, wenn sich die Werbung an Kinder richtet. Die Linke hat einen umfangreichen Forderungskatalog hinsichtlich der Werberegulierung in ihrem Programm aufgeführt: Neben einzelnen Aspekten (Keine Werbung für Tabak und Alkohol, keine Werbung an Schulen und der Unterbindung von sexistischer Werbung) ist die allgemeine Zielsetzung der Partei, dass im öffentlichen Raum grundsätzlich Produkt- und Markenwerbung verringert werden muss.

Es zeigt sich, dass Werberegulierung durchaus eine Rolle bei den Parteien für die kommende Bundestagswahl spielen wird. Allerdings ist es nur ein Teilaspekt einer umfassenderen Verbraucherschutzpolitik. Die Betonung der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, um sowohl den gesundheitlichen als auch den wirtschaftlichen Verbraucherschutz zu stärken oder zumindest Transparenz und weitere Informationen in den Markt zu bringen, unterstützt die These, dass sich das Verbraucherleitbild in der Politik fundamental geändert hat. Verbraucher müssen geschützt, mindestens aber informiert werden. Auch der Fokus der meisten vorgeschlagenen Werberegulierungen unterstützt die im Artikel ausgeführte These, dass sich Werbung vermehrt auf Argumente aus der Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik bezieht.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die aufgestellten Thesen aus dem Artikel durch die aktuelle Politik bestätigt werden. Es zeigt sich, dass es eine grundsätzliche Verschiebung der politischen Koordinaten im Verbraucherschutz gegeben hat, die voraussichtlich noch längerfristig anhalten wird.

Was heißt das für Public Policy Verantwortliche?

Zwar hat sich die Diskussion geändert, aber sie ist nicht verschwunden. Es gibt weiterhin – insbesondere in der bundespolitischen Diskussion – keinen Automatismus, dass eine verbraucherschutzpolitische Debatte zwangsläufig in einer Werberegulierung mündet. Es ist immer noch eines von mehreren Instrumenten und bisher gab es keine überhasteten Werbeverbote durch die Politik. Es zeigt sich zudem auch das Unternehmen (drohende) Einschränkungen als Möglichkeit vor allem zur Aufklärung nutzen können, was sich etwa in der Bewerbung diverser fett- oder zuckerreduzierter Lebensmittel niederschlägt. Daher ist es weiterhin wichtig für Verantwortliche in Unternehmen dafür zu werben, dass  andere politische Maßnahmen getroffen und Werbeeinschränkungen erst als Ultima Ratio getroffen werden.

Darüber hinaus gilt es schon jetzt eine Sensibilität innerhalb des Unternehmens für die Internationalität des Themas zu schaffen und ein Frühwarn- bzw. Monitoringsystem zu schaffen. Sowohl auf der internationalen Ebene (z.B. UN, WHO) aber auch auf der europäischen Ebene werden auch in Zukunft Produkt- und Werberegulierung diskutiert. Zwar können mit guter und professioneller Interessensvertretung meistens zu scharfe Regelungen abgewendet werden, doch ist eine politische Vorfestlegung dann schon getroffen worden.