Was können Parteien aus der aktuellen Krise lernen? Während einige Parteien Parteitage absagen müssen und vor der Herausforderung stehen, ihre Arbeit nun digitalisieren zu müssen, haben andere Parteien mit innovativen Ansätzen schon solche Vorbereitungen getroffen. Neben der Piratenpartei, die sicherlich als Vorreiter für digitale Partizipation in Parteien gelten darf, hat das „Parteien-Start up“ Volt von Beginn an konsequent auf eine digitale Beteiligung seiner Mitglieder gesetzt.
Mit dem Anspruch einer gesamteuropäischen Partei wurde Volt von Beginn an durch einen regen Austausch zwischen Mitgliedern aus ganz Europa aufgebaut und geprägt – eine digitale Zusammenarbeit ist dabei für die Kommunikation zwischen Hamburg und Barcelona Voraussetzung.
Die junge Partei hält interne Sitzungen grundsätzlich online ab, nutzt eine europaweite Online-Plattform mit Zugriff für alle Mitglieder und hat bei vergangenen europäischen und deutschen Parteitagen Liveübertragungen und Online-Abstimmungsverfahren etabliert, um möglichst vielen Mitgliedern die Mitbestimmung zu ermöglichen.
Abstimmung über die Fraktionszugehörigkeit im EP
Volt hat 2019 mit der Durchführung einer Online-Abstimmung zu einer richtungsweisenden Frage medial für große Aufmerksamkeit gesorgt. So haben 1600 Mitgliedern der Partei aus ganz Europa darüber abgestimmt, ob sich der einzige gewählte Volt-Europaabgeordnete Damian Boeselager einer Fraktion im EP anschließen sollte und wenn ja, welcher. Letztlich wurde mehrheitlich dafür gestimmt, sich der Grünen-Fraktion im EP anzuschließen: Eine Wahl, die mit Hilfe vielfacher Informationsmails und personalisierten Abstimmungslinks vorbereitet und letztlich online durchgeführt werden konnte.
Doch dieses Prozedere klingt im ersten Moment einfacher als es ist. Denn wer bei Volt Europa stimmberechtigt ist, orientiert sich an den nationalen Richtlinien. Da in ganz Europa unterschiedliche Parteigesetze und Sperrklauseln für Parlamentswahlen gelten, ist Volt noch nicht in allen Ländern als Partei eingetragen und muss sich immer anderen Regularien anpassen. Übertragen auf andere Fälle lässt sich der Rückschluss daraus ziehen, dass die Digitalisierung von nationalen Parteien deutlich einfacher vonstattengehen dürfte als von europäischen Parteifamilien. Für Deutschland hat Volt die Regelung getroffen, dass zumindest bisher grundsätzlich jedes Parteimitglied stimmberechtigt ist und es kein Delegiertensystem gibt.
Themenfindung vor Wahlen – Personenwahlen zeigen Grenzen auf
Doch nicht nur grundsätzliche Entscheidungen werden online getroffen, auch programmatische Diskussionen werden digital geführt. Dafür hat Volt ein mehrstufiges Abstimmungsverfahren implementiert. Dieses kann sowohl für die Bestimmung des Verfahrens als auch für die tatsächliche inhaltliche Positionierung genutzt werden. Dabei stimmen die Mitglieder im ersten Schritt über eine Auswahl der Politikbereiche ab, bevor das Programm im Einzelnen erarbeitet wird. Mithilfe dieses Vorgangs sollen so viele Stimmen wie möglich in der Entwicklung des Programms berücksichtigt werden.
Die konsequente Digitalisierung von Personalwahlen erweist sich hingegen als kompliziertes Unterfangen. So werden zwar alle City Leads per Klick vom eigenen Team bestimmt, doch sind City Leads nicht mit dem Vorsitz eines Orts- bzw. Kreisverbandes wie in anderen Parteien zu vergleichen. Für den Parteivorstand oder auch Wahllisten schreibt das Parteiengesetz einen Wahlparteitag vor. Spätestens dafür bedarf es dann auch bei Volt physischer Treffen. Grundsätzlich zeigt sich hier, dass das Parteienrecht den Spielraum für Innovationen und konsequente Digitalisierung vorgibt.
Erfolgreiche Tests im begrenzten Rahmen
Aufgrund der Corona-Situation hat Volt Anfang April kurzerhand eine Art Online-Parteitag abgehalten: Mithilfe von Videokonferenzen, strukturierter Moderation und erfahrenen Mitgliedern, die den Umgang mit digitalen Medien bereits gewohnt sind, konnte Volt über verschiedene Themen diskutieren – spontane Redebeiträge und Fragen, die über ein separates Online-Formular eingereicht werden konnten, eingeschlossen. Die abschließende Abstimmung wurde per E-Mail mit personalisierten Abstimmungslinks an die Mitglieder versandt und anschließend intern bekannt gegeben.
Diese Umsetzung, bei der alle Mitgliedern in ihren Wohnungen bleiben konnten, zeigt, dass parteipolitische Veranstaltungen und Diskussionen nicht gezwungenermaßen durch Quarantäne-Regeln ausfallen müssen. Doch hat diese Form auch erneut einen parteirechtlichen Haken. Denn die virtuell gefassten Beschlüsse sind erstmal nicht mehr als eine Absichtserklärung. Um sie formal zu einer Beschlusslage der Partei zu machen, bedarf es nach Corona eines regulären analogen Parteitages, der die gefassten Beschlüsse bestätigen muss.
Was andere Parteien lernen können
Mit der Umstellung von Treffen auf Videokonferenzen, der verstärkten Nutzung einer Online-Plattform, auf der auch unabhängig von Sitzungen diskutiert und geplant werden kann, oder die Anwendung von Online-Abstimmungen können Instrumente sein, um die Parteiarbeit breiter und partizipativer aufzustellen. Nicht nur in Zeiten von Social Distancing und Home Office sind Online-Instrumente für Parteien von Vorteil. Auch danach ermöglichen sie es den Parteien eine Öffnung gegenüber allen und insbesondere neuen Mitgliedern zu vollziehen.
Über Online-Plattformen kann es für neue und unerfahrene Mitglieder einfacher sein ihre Ideen vorzustellen als im Rahmen eines klassischen Stammtisches oder Ortsparteitags. Politisch Interessierte, die beruflich stark eingebunden sind oder sich zuhause um ihre Kinder kümmern müssen, können so Ideen online einbringen, über Themen mitdiskutieren und das politische Geschehen aktiv einbringen. Andere Parteien hinken dort noch hinterher und die aktuellen Entscheider in den meisten Parteien kennen seit Jahrzehnten die festen Riten von physischen Parteitagen auf jeder politischen Ebene.
Neben der Frage, inwiefern andere Parteien ihre Partizipationsmöglichkeiten digitalisieren, stellt sich eine noch relevantere Frage: Werden die bisher analogen Parteien mit einer umfassenden Reform des Parteiengesetzes es ermöglichen Parteitage inklusive Wahlen vollständig online durchführen zu können oder blockieren die Parteien innovative politische Modelle, indem sie die bisherigen Regularien so belassen? Schlussendlich wird die Beantwortung dieser Frage darüber entscheiden, wie viel digitale Partizipation Parteien zukünftig anbieten können und Bewegungen wie Volt sich etablieren können.
Hinweis in eigener Sache: Die Autorin ist Mitglied bei Volt und leitete den Aufbau des Städteteams der gesamteuropäischen Bewegung Volt Europa in Passau.