Vierzig Jahre lang hat Günter Bannas über die deutsche Politik berichtet – erst aus Bonn, seit dem Regierungsumzug 1999 aus Berlin. Sein Wort hatte Gewicht, bei Pressekollegen und in der Politik. Seit 2018 ist er im Ruhestand. Florian Lottmann und Ralf Kunkel haben sein gerade erschienenes Buch „Machtverschiebung“ gelesen, in dem Bannas einen Blick zurück wirft, auf das kleine Bonn und das aufgeregte Berlin.
Ralf: „Günter Bannas hat in den zurückliegenden Jahren nahezu alle Größen der deutschen Politik interviewt, sie auf Auslandsreisen begleitet, bei Empfängen beobachtet und in vertraulichen Runden befragt. Hast Du Dich eigentlich auf das Bannas-Buch und neue Einsichten über das Zustandekommen der einen oder anderen politischen Entscheidung gefreut?“
Florian: „Sehr. Vor Erscheinen bestellt und gespannt wie ein Flitzebogen auf die Lieferung gefreut. So oft kommt die Gelegenheit ja nicht, Einsichten eines Korrespondenten zu lesen, der seit Jahrzehnten so nahe am politischen Geschehen war. Als Bannas in die FAZ-Redaktion eingetreten ist, war ich Grundschüler. Stephan Detjen hat in einer Laudatio anlässlich einer Medienpreisverleihung 2001 an Günter Bannas formuliert: ‚ein Journalist, der uns immer wieder an den ursprünglichen Ort des Politischen in der Demokratie zurückführt: in den parlamentarischen Raum mit seinen großartigen Bühnen und verwinkelten Kulissen, hinter denen er mit unvergleichlicher Präzision aufspürt, was Politik in ihrem Kern ausmacht: den Diskurs, in dem Argumente formuliert, ausgetauscht, organisiert, instrumentalisiert, gegeneinander in Stellung gebracht werden‘. Das war in allem, was er in all den Jahren vor allem in der FAZ geschrieben hat, immer sehr präsent – und entsprechend groß war die Vorfreude auf die ‚Machtverschiebung‘. Dennoch frage ich mich jetzt, ob das Buch zur Frage, was die Machtverschiebung in ihrem Kern ausmacht, wirklich viel beizutragen hat.“
Ralf: „Ja, die Frage stelle ich mir auch. Wie beschreibt Bannas die Unterschiede zwischen Bonn und Berlin? Ich versuche mal eine Zusammenfassung: 1. Die Berliner Republik ist aufgeregter als die kleine Bonner Republik jemals war. 2. Die Medienlandschaft ist vielschichtiger geworden. Es reicht nicht mehr, mit einer Handvoll Journalisten im Hinterzimmer zu sprechen, um seine Botschaften zu platzieren. 3. Der SPIEGEL erscheint am Samstag, es gibt für Journalisten und Politiker kein Wochenende mehr. 4. Politik und Journalismus sind weiblicher geworden, Altherrenwitze kommen nicht mehr an. Habe ich etwas vergessen?“
Florian: „Pointiert. Wenn auch etwas zugespitzt. Zugegebenermaßen sieht Bannas das scheinbar selbst, indem er gleich zu Beginn schreibt „womöglich kommen Historiker später einmal zur Auffassung, die Verhältnisse in Bonn seien mit dem Umzug an die Spree einfach nur nach Berlin verpflanzt worden und eigentlich habe die ‚Bonner Republik‘ bis ungefähr 2017 gewährt“. Das wäre ein wirklich interessanter Ausgangspunkt gewesen, oder?“
Ralf: „Absolut. Ich habe mich während der Lektüre laufend gefragt: ‚Wann kommen denn jetzt die großen Analysen? Wo ist die Einordnung, wo der Bruch zwischen der Bonner und ab 1999 der Berliner Republik?‘ Das war die Erwartungshaltung, die der Verlag mit Aufmachung und Bewerbung des Buches bei mir geweckt hat. Aber der Regierungsumzug war eben keine Bruchstelle, sondern nur eine Wegmarke zwischen den großen Umwälzungen unserer Tage: der Fall des Eisernen Vorhangs 1989/1990 und vor uns mit Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise und Migration schon die nächsten, noch größeren. In dieser Perspektive liest sich das Buch wie ein sorgfältiger Politikkalender der zurückliegenden Jahrzehnte inklusive hübscher Fundstücke und Anekdoten. Aber eine grundlegende Machtverschiebung? Eher nein.“
Florian: „So ist es. Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Günter Bannas (2019): Machtverschiebung – wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat