Zusammenfassung

  • Regierung und Parlament reagieren durch organisatorische Maßnahmen auf die Krise – Gesetzgebungsprozesse laufen aber weiter 
  • Separate Arbeitsstrukturen entlasten die regulären Regierungsabläufe 
  • Während die Leitungsebene durch das Coronavirus stärker gefordert wird, hat die Arbeitsebene durch den Wegfall vieler Termine sogar mehr Zeit als zuvor für die inhaltliche Arbeit. 
  • Der Bundestag ist auch mit nur einem Viertel seiner Mitglieder beschlussfähig und erlaubt zumindest in den Ausschüssen die elektronische Abstimmung  

Das Corona-Virus hat die Bundesrepublik verändert, wie keine Krise zuvor. Kontaktsperren, Grenzkontrollen und Toilettenpapiermangel – wie wirkt sich das Coronavirus erst auf die Arbeit von Regierung und Parlament aus? Es stellt sich heraus: Gar nicht so fundamental wie man annehmen würde. 

Die Situation selbst ist nicht unvorhergesehen, denn zuletzt 2017 wurde die Reaktion im Rahmen des Pandemieplans entwickelt. Der sieht konkrete Strukturen zum Krisenmanagement vor, die am 27. Februar u.a. durch die Einrichtung des gemeinsamen Krisenstabs von Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesgesundheitsministerium (BMG) umgesetzt wurde. Wie jeder Plan überstand auch er den Realitätstest nicht vollständig und so gab sich die Bundesregierung Ende März eine neue Arbeitsstruktur.  

Lagen, Stäbe und Kabinette – die Reaktion der Bundesregierung

Die strategische Leitung übernimmt in der aktuellen Konstellation das sogenannte „Kleine Corona-Kabinett“, das montags tagt. Diesem Gremium gehören die Bundeskanzlerin, die Bundesminister für Gesundheit, Inneres (BMI), Finanzen (BMF), Verteidigung (BMVg) und Äußeres (AA) sowie der Chef des Bundeskanzleramts an. Hier werden die wichtigen Entschlüsse zur Krise getroffen und zur Umsetzung an die Runde der beamteten Staatssekretäre gegeben. Diese tagt neben ihrer regulären Sitzung am Montag nun auch am Mittwoch, u.a. um das „Große Corona-Kabinett“ am Donnerstag vorzubereiten.  

Im Unterschied zum Kleinen Corona-Kabinett werden am Donnerstag je nach Entscheidungslage auch weitere involvierte Minister hinzugezogen. Das reguläre Kabinett tagt weiter am Mittwoch und wird insofern einbezogen, als Entscheidungen einen formalen Kabinettsbeschluss erfordern. Zudem wird im Rahmen der Kabinettssitzung die aktuelle Lage zu Corona-Krise vorgetragen. Die reguläre Gesetzgebung ist weiterhin Aufgabe der Kabinettssitzung am Mittwoch. 

Die operative Umsetzung übernimmt der gemeinsame Krisenstab, der von BMI und BMG geleitet wird. Er tagt dienstags und donnerstags und ist neben der operativen Umsetzung der Kabinettsbeschlüsse auch für die Erstellung von Lagebildern und die Koordination der Hilfsersuchen der Bundesländer zuständig. Er wird von den Staatssekretären Hans-Georg Engelke (BMI) und Dr. Thomas Steffen (BMG) geleitet. Neben den beiden sind auch Mitarbeiter von AA, BMVg, Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi), Bundesministerium für Verkehr (BMVI) und dem Bundeskanzleramt vertreten. Hinzu kommen noch Verbindungsbeamte der Bundesländer und die sogenannten „einheitlichen Ansprechpartner. Letztere sind sozusagen „Sammelstellen“ für einzelne Themen wie Unterstützungsangebote aus der Wirtschaft.  

Dem Krisenstab arbeitet der neugeschaffene und vom BMG geleitete Beschaffungsstab zu. Dieser beschäftigt sich mit Kauf und Logistik benötigter Güter, aktuell vor allem von Schutzausrüstung. Neben dem BMG sind hier auch BMF und AA eingebunden – zusammen mit fünf großen deutschen Unternehmen. Diese sollen für die Bundesregierung die Beschaffung vereinfachen, so hat VW kurzfristig Ausrüstung für einen zweistelligen Millionenbetrag organisiert.

Der Beschaffungsstab wird wiederrum von einer Arbeitsgruppe ( „Task Force“) unterstützt, die aus Vertretern von BMG, BMI, AA, BMVg, BMWi, BMVI und Bundeskanzleramt besteht. Diese soll die zügige Bearbeitung von Beschaffungsthemen in den eigenen Häusern sicherstellen. Zudem soll am Mittwoch (08.04.) ein Stab „Produktion medizinischer Schutzausrüstung in Deutschland“ von BMWi und BMG eingerichtet werden, unter Leitung des BMWi. 

Viele andere Ministerien (u.a. Justiz und Verbraucherschutz, Umwelt, Arbeit und Soziales oder Ernährung und Landwirtschaft) werden nach Bedarf einbezogen, was aber nicht heißt, dass sie nicht ihre internen Krisenstäbe oder zumindest „Corona-Lagen“ hätten. 

Betrachtet man die Strukturen, so zeigt sich auf den zweiten Blick, dass trotz Corona erst mal vieles weiter seinen gewohnten Gang geht. Krisenkabinette entlasten die regulären Arbeitsstrukturen und auch wenn sich einige Gesetzgebungsprozesse durch die zusätzliche Arbeitsbelastung leicht verzögern, gestoppt werden sie nicht 

Abseits der ersten zwei bis drei turbulente Wochen ist bei vielen Gesetzgebungsprozessen Alltag eingekehrt. Dabei zeigt sich auch innerhalb der Ministerien ein gewisser Unterschied: Während die Leitungsebene häufig durch Corona-bezogene Initiativen und Abstimmungen eingebunden ist, haben auf Arbeitsebene viele, die nicht direkt in die Maßnahmen der Krise involviert sind, Zeit an den weiteren Initiativen zu arbeiten – durch den Wegfall vieler Termine vielleicht sogar mehr als zuvor. Durch diese Kluft innerhalb der Ministerien sind jedoch neue politische Initiativen, die nicht mit der Krise in Zusammenhang stehen, auch in den kommenden Wochen kaum zu erwarten.  

Parlamentarische Prozesse in Krisenzeiten 

Der Bundestag hat sich ebenfalls auf die um sich greifende Pandemie eingestellt. So wurde die Sitzungswochen im März verkürzt und es ist wahrscheinlich, dass dies auch auf die Sitzungswoche ab dem 20. April zutreffen wird Generell gilt zwischen den Fraktionen eine sogenannte „Pairing“-Vereinbarung, bei der für kranke oder verhinderte Abgeordnete der Regierungskoalitionen eine gleiche Anzahl an Oppositionsabgeordneten fernbleibt, um Kräfteverhältnis und Regierungsfähigkeit zu wahren. 

Auch die Geschäftsordnung (GO) wurde entsprechend angepasst: 

  • Der Bundestag ist gemäß einer befristeten Änderung der GO bis 30. September bei Anwesenheit eines Viertel seiner Mitglieder beschlussfähig. 
  • Außerdem sind Ausschüsse beschlussfähig, wenn mehr als ein Viertel seiner Mitglieder anwesend sind oder über elektronische Kommunikationsmittel teilnehmen können. 
  • Darüber hinaus genehmigt der Deutsche Bundestag die Anordnungen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz gegen Mitglieder des Bundestages. Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, den Präsidenten des Deutschen Bundestages unverzüglich über die gegen ein Mitglied des Bundestages angeordneten Maßnahmen zu unterrichten. 

Für die Ausschussarbeit wurden folgende Regelungen getroffen: 

  • Für Abstimmungen und Beschlussfassungen können auch elektronische Kommunikationsmittel genutzt werden.
  • Öffentliche Ausschussberatungen und öffentliche Anhörungen können auch so durchgeführt werden, dass der Öffentlichkeit Zugang ausschließlich virtuell gewährt wird. 

Von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wurden auch weitreichendere Maßnahmen angedacht, u.a. eine Grundgesetzänderung um ein „Notparlament“ wie im Verteidigungsfall zu ermöglichen oder virtuelle Bundestagssitzungen. Beides wurde aber von den Regierungs- wie Oppositionsfraktionen zum jetzigen Zeitpunkt für unnötig erachtet. 

Auch der parlamentarische Betrieb geht also seinen Gang, vielleicht etwas verlangsamt aber trotzdem stetig.  Sowohl Exekutive als auch Legislative zeigen damit trotz widriger Umstände ein hohes Maß an notwendiger Anpassungsfähigkeit und wahren damit Arbeitsfähigkeit auch abseits des Krisenmodus. 

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