Der Tenor der „So wird 2019“-Vorschauen in den Medien war zu großen Teilen einhellig: 2019 werde politisch schwierig, gesellschaftlich herausfordernd und wirtschaftlich droht Ungemach. Ein Begriff tauchte in vielen Kommentaren und Beiträgen auf: „Unsicherheit“.
Schauen wir auf das Dauerthema Brexit, finden wir die Prognosen bislang vollauf bestätigt. Im Stundentakt gibt es neue Entwicklungen, dramatische Redeschlachten im britischen Unterhaus und kritische Töne aus Brüssel. Der Brexit-Termin steht. Nachverhandelt wird nicht. Ein ungeordneter No-Deal-Ausstieg wird wahrscheinlicher. Vielleicht wird aber auch der Brexit-Termin verschoben. Am Ende des Tages immer wieder: Unsicherheit.
Muster hochfrequenter Richtungsänderungen bei sehr grundsätzlichen politischen Themen werden in diesem Jahr endgültig zu unserem verlässlichen Begleiter. Nichts erscheint heute so weit entfernt, wie die naive Sehnsucht von 1989, als der Eiserne Vorhang fiel und viele glaubten, die liberalen Demokratien hätten den Wettlauf der politischen Systeme dauerhaft für sich entschieden (vgl. Francis Fukuyamas Klassiker „The End of History and the Last Man“ von 1992).
2019 sieht die Welt anders aus: Die Politik ist kurzatmiger geworden. Die USA werden von einem Präsidenten regiert, dem es offensichtlich mehr und mehr gelingt, die Spielregeln von Politik und Kommunikation zu verändern. Das bislang Undenkbare – die Auflösung des Westens – ist möglicherweise bereits in vollem Gange. Sowohl bei den Wahlen in den USA wie auch beim Brexit-Votum 2016 hatten vermutlich russische Trollfabriken ihre Finger im Spiel. Illiberale Kräfte sind längst auch in Kontinentaleuropa auf dem Vormarsch. Populisten in Ungarn, Polen und Italien lassen keinen Versuch aus, die Diskurse in ihren Ländern dauerhaft zu verändern. Ob die AfD in Deutschland ihren Stimmenanteil auch bei den drei Landtagswahlen, den Kommunal- und Europawahlen weiter ausbaut, bleibt abzuwarten. Fest steht aber: Unsicherheit ist das Markenzeichen unserer Zeit geworden.
Wie können Unternehmen mit diesen sich weltweit ändernden Rahmenbedingungen umgehen? In unserer täglichen Beratungsarbeit stellen wir fest, wie viel politischer viele Unternehmensentscheidungen geworden sind. Geschwindigkeit war schon immer ein entscheidender Faktor, vor allem bei börsenrelevanten Themen. Jetzt sehen wir, dass Unternehmen auf aktuelle politische Entscheidungen in Echtzeit reagieren, da sich Nachrichten über die Sozialen Medien rasant verbreiten.
Wie also mit der Unsicherheit umgehen? Sieben Lehren, die wir bis heute daraus gezogen haben:
- Geschwindigkeit: Wir sind immer wieder überrascht davon, wie viele Unternehmen sich schwerfällige Abstimmungsschleifen leisten und deshalb zu spät sprechfähig und damit auch nach innen und außen handlungsfähig sind. Wer Kommunikation und ihre Geschwindigkeit nicht ernst nimmt, ist noch nicht im Hier und Heute angekommen. Langatmiges Hin und her kann sich heute keiner mehr leisten.
- Krisenmodus und Krisenvorsorge: Im Krisenmodus lassen sich Probleme häufig schnell und gut lösen. Er diszipliniert, Entscheidungen zu treffen und stärkt die Zusammengehörigkeit. Aber: Viele Krisen entstehen gerade erst durch die Leichtfertigkeit im Vorfeld kritischer Ereignisse und das unprofessionelle Handling, wenn es einmal kracht und scheppert. Krisenvorsorge wird damit zwingend und schafft die Voraussetzung, als Organisation und Team von jetzt auf gleich in den Krisenmodus zu schalten.
- Ruhe bewahren: Die eigene Agenda und Position gilt es auch bei kritischen Issues beizubehalten. Wir beobachten immer wieder, dass Organisationen in Krisen regelrecht zusammenbrechen. Nervosität und Sofortismus treten an die Stelle rationaler Überlegung und sorgfältigen Abwägens. Dabei erfordert der Umgang mit Vorwürfen und Anschuldigungen vielfach einfach nur Übung. Rechtzeitig und regelmäßig.
- Netzwerke: Es reicht nicht mehr, mit einer Handvoll Akteuren zu reden. Allein in Deutschland haben wir es in den 16 Bundesländern heute mit mehr als einem Dutzend verschiedenen Regierungskoalitionen zu tun. Unternehmen müssen mit allen reden, um ihre Positionen klarzumachen. Unternehmen tun gut daran, der Unsicherheit mit mehr Offenheit und Kommunikation zu begegnen.
- „Reality eats plans for breakfast.“ Dieser Satz steht auf einem Aufkleber in unserer Büroküche. Ich halte die Aussage zwar für übertrieben. Aber die Unternehmenskommunikatoren müssen jedes Thema systematisch auf Chancen und Risiken abklopfen, um die Ecke und in Eventualitäten denken. Auch wenn das nicht immer zur ausgeklügelten und in sich schlüssigen Marketing-Story passt.
- “Licence to operate”: In der Luftfahrt, in der ich lange gearbeitet habe, ist Kommunikation Teil der „License to operate“. Wenn Sie gegenüber der Genehmigungsbehörde nicht nachweisen können, dass Sie im Krisenfall eine adäquate Information von Passagieren, Angehörigen und Öffentlichkeit gewährleisten können, sind Sie raus. Krisenhandbuch, Krisensimulation und Dokumentation von Prozessen und Ressourcen sind nachzuweisen. Ich würde mir wünschen, dass mehr CEOs dieses Verständnis von Kommunikation entwickeln.
- Öffentlichkeit: Fast alles was passiert, wird früher oder später öffentlich. Unternehmen müssen sich von der Illusion verabschieden, dass wesentliche Informationen vor Journalisten und Rechercheuren dauerhaft verborgen werden können. Bei der Insolvenz der airberlin im August 2017 war es uns gelungen, die Ad-hoc- und Pressemitteilung zum Insolvenzantrag auf den Markt zu bringen, bevor ein Journalist darüber berichtete. Aus heutiger Sicht grenzt es für mich fast an ein Wunder, dass das Thema nicht leakte. Über hundert Personen waren in die damaligen Abläufe eingebunden. Aber ich bin mir sicher, dass wir die Mitteilungen nicht eine Stunde später hätten rausschicken dürfen. Zumindest bei einer Redaktion lag die Story schon fertig in der Schublade. Den Redakteuren erschien nur das Risiko zur Veröffentlichung zu groß.