von Philipp Mühl (Global Counsel) und Simon Baumert (Bernstein Group)
Unsere Welt wird immer fragmentierter. Diese neue geoökonomische Realität wirkt sich unweigerlich auch auf Mittelständler aus. Bisweilen stehen ganze Geschäftsmodelle auf dem Spiel, wenn Lieferketten unterbrochen werden oder der Zugang zu wichtigen Absatzmärkten blockiert wird. Doch Unternehmen sind diesen Entwicklungen nicht schutzlos ausgeliefert. Durch Frühwarnsysteme, ein solides operatives Risikomanagement und die aktive Beteiligung an politischen Debatten können Firmen Risiken minimieren und sogar gestärkt aus der aktuellen Krise der Globalisierung hervorgehen.
Ob Lieferausfälle durch Angriffe auf Frachtschiffe im Roten Meer, rasant steigende Energiepreise infolge des Russischen Angriffskriegs in der Ukraine oder einbrechende Gewinnmargen durch Zölle: kaum ein Tag vergeht, ohne dass Unternehmen mit den Auswirkungen geoökonomischer Konfliktlinien konfrontiert werden. Die Zeiten, in denen Führungskräfte politische Entwicklungen ignorieren konnten, sind vorbei.
Es sind keinesfalls nur internationale Großkonzerne betroffen. Im Gegenteil: gerade Mittelständler, deren Erfolg auf der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten basiert, sind besonders in Gefahr. Im Gegensatz zu VW & Co können Hidden Champions nicht einfach ihre Produktion in Zielmärkte wie die USA oder China verlegen. Zudem sind sie besonders abhängig vom Export spezifischer Produkte, in deren Herstellung sie Weltmarktführer sind. Das macht Mittelständler verwundbarer für gezielte Handelshemmnisse.
Der Höhepunkt der Globalisierung wurde überschritten
Ein starkes Indiz dafür, wie weit eine De- oder zumindest Reglobalisierung fortgeschritten ist, zeigen aktuelle Analysen des IMF. Infolge wachsender Sanktionen und Einschränkungen werden ausländische Direktinvestitionen demnach verstärkt innerhalb geoökonomischer Blöcke getätigt, also beispielsweise innerhalb des Westens oder innerhalb eines nicht näher definierten Einflussbereiches Chinas oder Russlands, aber weniger zwischen diesen sich abzeichnenden Blöcken. Das trifft insbesondere auf strategisch wichtige Zukunftsindustrien wie erneuerbaren Energien oder Halbleiter zu.
Vor allem im Handel werden die Risiken schnell und akut spürbar. Laut einer DIHK-Umfrage haben 61% der deutschen Unternehmen im vergangenen Jahr eine Zunahme von Handelshemmnissen bei ihren internationalen Geschäften wahrgenommen. Diese Empfindung deckt sich mit empirischen Daten: So wird der Anteil von Importen und Exporten am globalen BIP nach Projektionen des IMF in den kommenden Jahren sinken. Das sind schlechte Neuigkeiten für den deutschen Mittelstand, der mit seinem oft exportbasierten Geschäftsmodell besonders sensibel für diese Entwicklungen ist und zu mehr als einem Drittel des deutschen Gesamtexports beiträgt.
Gleichzeitig wird die europäische Wirtschaft immer abhängiger von Importen, auch aus geopolitisch sensiblen Ländern. China ist hierbei nur das prominenteste Beispiel, wenngleich das bedeutendste: Die EU ist laut Berechnungen von MERICS bei 421 von insgesamt 5.113 Produktkategorien abhängig von Importen aus dem Reich der Mitte. 12% Abhängigkeit als wenig abzutun wäre ein Trugschluss. Schließlich handelt es sich bei vielen dieser Abhängigkeiten um kritische Komponenten oder Vorprodukte wie seltene Erden, Magneten oder elektronische Bauteile, ohne die eine Produktion anderer Güter unmöglich oder erheblich erschwert ist.
Die mit den geopolitischen Entwicklungen einhergehenden Geschäftsrisiken können nicht isoliert betrachtet werden. Ihre Auswirkungen sind in jedem Bereich eines Unternehmens spürbar, angefangen bei der Beschaffung (z.B. chinesische Exportkontrollen auf kritische Rohmaterialien wie Antimon), über Forschung & Entwicklung (z.B. niederländische Ausfuhrbeschränkungen für fortschrittliche Chip-Technologie), bis hin zum Vertrieb (z.B. die von Donald Trump angekündigten Universalzölle in Höhe von 10 – 20 %).
In den letzten Jahren wurden daher die richtigen Überlegungen getroffen, geoökonomische Risiken als Querschnittsthema zentral im Unternehmen und in Unternehmensstrategien zu verankern. Richtig ist, dass ein tiefgreifendes Verständnis für geopolitische Zusammenhänge und Wechselwirkungen zentral ist, damit man sich nicht von einer Abhängigkeit in die nächste begibt. Dafür müssen Unternehmen Fachexpertise aufbauen, um früh Risiken zu erkennen und im Ernstfall schnell reaktionsfähig zu sein.
Allerdings wurden diese Diskussionen hauptsächlich aus Sicht großer, weltweit agierender Konzerne geführt. Die besonderen Herausforderungen von Mittelständlern wurden dabei oftmals ausgeblendet. Diese verfügen über weit weniger Ressourcen, um eine eigene Abteilung für Geoökonomie aufzubauen, geschweige denn geeignetes Personal dafür zu finden. Sich allein auf die Marktexpertise bewährte lokaler Verkaufspartner zu verlassen verkennt hingegen die heutige Komplexität und Bedeutung der geopolitischen Komponente für tägliche operative wie strategische Entscheidungen.
Die für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Mittelständler und Hidden Champions sehen sich so am Ende in einer gewissen Abwartehaltung – ausgeliefert den Entscheidungen politischer Entscheidungsträger und der Risikomanagement-Abteilungen ihrer Großabnehmer, die ihre Compliance- und Berichtspflichten nicht selten an ihre Zulieferer outsourcen. Dabei haben Mittelständler viele Möglichkeiten, vom Objekt zum Subjekt in der Geoökonomie der 20er Jahre und darüber hinaus zu werden.
Regional gedacht, weltpolitisch gemacht
Selbstverständlich kommen auch Mittelständler um einige grundsätzliche Schritte auf ihrem Weg zum geopolitisch fitten Unternehmen nicht herum. An erster Stelle steht immer eine Analyse der eigenen Aktivitäten: Wie stark konzentrieren sich meine Umsätze auf einzelne Märkte? Wie abhängig bin ich bei bestimmten Produkten von einzelnen Zulieferern? Dabei sollte immer die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden, von Rohstoffen bis hin zur Weiterverwendung der eigenen Produkte durch Kunden und deren Distribution und Abhängigkeiten von einzelnen Weltmärkten. Laufende Entwicklungen sollten dabei aufmerksam im Blick behalten werden. Hierfür kann es sich lohnen, auf externe Expertise zurückzugreifen und initial ein Plan zu erarbeiten, um aktiv Risiken abzubauen – z.B. durch die Diversifizierung oder den Wechsel von Zulieferern und das Entwickeln von Notfallplänen.
Mittelständler und Hidden Champions sollten sich im weiteren Verlauf aber vor allem auf ihre eigenen Stärken besinnen. Ihre Wettbewerbsfähigkeit rührt oft daher, dass sie eine unschlagbare und schwer zu ersetzende Qualität in einem Nischenmarkt bieten. Dieses Selbstbewusstsein sollte in Verhandlungen mit Großabnehmern genutzt werden, um die individuellen Bedürfnisse und Stärken in gemeinsamen geoökonomischen Risikostrategien münden zu lassen. Erst wenn eine Wertschöpfungskette integriert gedacht wird, kann sie wirklich nachhaltig gegenüber politischen Veränderungen geschützt werden, z.B. über gemeinsames Ressource-Pooling, die Einrichtung eines unternehmensübergreifenden Kompetenzzentrums für Geopolitik, oder die finanzielle Absicherung von Diversifizierungsstrategien.
Ähnliches gilt für die Politik. Vielen Unternehmerinnen und Unternehmern mag es abwegig erscheinen, als Mittelständler eine Positionierung gegenüber weltpolitischen Veränderungen zu entwickeln. Doch hier gilt: “Think globally, act locally”. Inhabergeführte, familiär geprägte und regional verwurzelte Weltmarktführer sind für einzelne Region von enormer Bedeutung. Dies gilt für die wirtschaftliche Entwicklung, für Arbeitsplätze, aber auch für Identitätsstiftung und den kommunalen Zusammenhalt. Insbesondere Regionalpolitikerinnen und –politiker aber auch Vertreter von Landesregierung und im Bundestag vertretene Abgeordnete des Wahlkreises sind daher zugänglich für die Sorgen und Nöte eben dieser Unternehmen.
In unserem föderalen, auf den Erhalt und Ausgleich regionaler Besonderheiten ausgelegten System kann die deutsche Positionierung zu internationalen Fragen über verschiedenste Kanäle sinnvoll angereichert werden. Dabei ergänzen Fragen zur regionalen wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Wirtschaftszweige traditionelle außenpolitische Abwägungen. Um zu erkennen, wie das aussehen könnte, lohnt sich ein Blick über den Atlantik. Dort hatte die Biden-Regierung im Mai umfassende Section 301-Zölle auf chinesische Produkte im Bereich grüner Technologien angekündigt. In der finalen Produktliste im September fanden sich dann aber einige Ausnahmen – etwa für Hafenkräne, für die es in den USA keinen Hersteller gibt. Da Hidden Champions per Definition schwer ersetzbare Produkte herstellen, sollte ihre geopolitische Bedeutung nicht unterschätzt werden.
Der jüngste Wahlsieg von Donald Trump in den USA verdeutlicht, dass zumindest in den nächsten vier Jahren mit einer zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft zu rechnen ist. Unternehmen müssen daher geoökonomische Risiken nicht nur erkennen, sondern auch aktiv managen. Mittelständler sind durch ihre Exportorientierung und Verflechtung in internationale Wertschöpfungsketten besonders anfällig für externe Schocks. Aber sie sollten nicht in eine Abwartehaltung verfallen: Als Hidden Champions sind sie mittendrin im geopolitischen Wettstreit um wirtschaftliche Unabhängigkeit und technologischen Fortschritt. Entsprechend selbstbewusst können und sollten sie auch auftreten.
Factbox: Navigieren durch geopolitische Unsicherheiten – Drei essenzielle Schritte für Mittelständler
- Risikomanagement stärken: Implementieren Sie Frühwarnsysteme, überwachen Sie kontinuierlich Ihre Lieferketten und politische Entwicklungen, um schnell auf Störungen reagieren zu können. 2.
- Diversifikation vorantreiben: Reduzieren Sie Abhängigkeiten durch die Identifikation alternativer Lieferanten und Erschließung neuer Märkte, um Ihre Geschäftsstabilität zu erhöhen.3.
- Politik mitgestalten: Engagieren Sie sich in politischen Debatten und bauen Sie Beziehungen zu Entscheidungsträgern auf, um Ihre Interessen wirksam zu vertreten.
Philipp Mühl ist Associate Director im Berliner Büro der weltweit agierenden Strategieberatung Global Counsel. Er hilft internationalen Firmen, Investoren und Start-Ups, im komplexen politischen System in Deutschland und Europa den Überblick zu bewahren.
Simon Baumert ist Associate bei der Bernstein Group in Berlin, wo er Strategien und Konzepte entwickelt, um die Anliegen von Mandanten in die politische Arena zu tragen. Er betreut Kunden in energie- und wirtschaftspolitischen Fragen mit einem weltweiten Fokus.