Am 18. Oktober 2022 hat die Europäische Kommission das Arbeitsprogramm 2023 vorgestellt, welches das letzte der Legislaturperiode von der Leyens ist. Es soll die Positionierung der EU in Zeiten der Krise zum Ausdruck bringen und den Zusammenhalt der EU-Institutionen betonen. 

Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission: die politische Agenda für das kommende Jahr 

Jedes Jahr legt die EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm vor, in dem die wichtigsten Maßnahmen und Initiativen für die kommenden zwölf Monate vorgestellt werden.  

Als Hüterin der Verträge und Impulsgeberin für die Politik gestaltet die EU-Kommission die übergeordnete Strategie der Europäischen Union und gibt deren politische Richtung vor. Zur Wahrnehmung dieser Rolle stehen der Europäischen Kommission mehrere Instrumente zur Verfügung, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden:  

1. Die politischen Leitlinien

Zu Beginn jeder Legislaturperiode legt die EU-Kommission politische Leitlinien vor, die die obersten Prioritäten für die fünfjährige Amtszeit der Kommission definieren und als Rahmen für die Entwicklung konkreter Initiativen eines jeden Jahres dienen. 

Die politischen Prioritäten der EU-Kommission für die Amtszeit 2019-2024 umfassen sechs verschiedene Themenbereiche: Der europäische Green Deal, Ein Europa für das digitale Zeitalter, Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, Ein stärkeres Europa in der Welt, Förderung unserer europäischen Lebensweise, Neuer Schwung für die Demokratie in Europa. 

2. Die Rede zur Lage der Union 

Jedes Jahr blicken EU-Entscheidungsträger und Interessenvertreter gespannt auf die Worte der Kommissionspräsidentin im Rahmen ihrer Rede zur Lage der Union. Diese Ansprache ist von entscheidender Bedeutung für die europäische Debatte und bietet eine ideale Gelegenheit, die Diskussion über wichtige europäische Themen und Herausforderungen zu eröffnen. Im September hielt die Präsidentin der EU-Kommission während der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments die Rede zur Lage der Union, gefolgt von einer Absichtserklärung, die am selben Tag an die Präsidentin des Europäischen Parlaments übermittelt wird. Die Rede zur Lage der Union soll die europäischen Bürger sowie die anderen EU-Institutionen über die Fortschritte des vergangenen Jahres informieren und die politischen Prioritäten für das kommende Jahr erläutern. Der politische Charakter der Rede zur Lage der Union spiegelt sich in seinem Ziel wider, die Anforderungen der EU-Kommission an Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber den anderen Gesetzgebern und Bürgern zu erfüllen. Obwohl die Rede zur Lage der Union als Auftakt der europäischen Diskussion über die jährliche politische Agenda fungiert, werden die einzelnen Vorschläge erst in einem letzten Schritt konkretisiert: dem Arbeitsprogramm.

3. Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission

Im Anschluss an die Rede zur Lage der Union veröffentlicht die EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm. Dieses untermauert einerseits mit gezielten Vorschlägen die fünfjährige Gesamtstrategie, die in den politischen Leitlinien festgelegt wurde. Andererseits bildet es die Grundlage für die jährliche politische Agenda, die in der Rede zur Lage der Union angekündigt wurde. Das Arbeitsprogramm der Kommission beginnt mit einer Erklärung, in der die politische Richtung bekräftigt und vertieft wird, die bereits in der Rede zur Lage der Union angekündigt wurde. Anschließend werden in einem zweiten Teil in verschiedenen Anhängen die wichtigsten Initiativen und Vorschläge vorgestellt, die im folgenden Jahr angenommen werden sollen. Das Arbeitsprogramm ist somit der detaillierte Fahrplan, auf den sich die europäischen Gesetzgeber in den folgenden zwölf Monaten stützen werden. 

Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2023: „Eine Union, die stabil und geeint zusammensteht“ 

„Ein ganzer Kontinent hat sich solidarisiert … Die Europäer haben sich weder versteckt noch gezögert.“ 

Die Worte von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anlässlich ihrer Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament am 14. September eröffnen die politische Grundsatzerklärung des Arbeitsprogramms 2023. Es ist das dritte Arbeitsprogramm der von der Leyen-Kommission, das die Maßnahmen der EU zur Umsetzung ihrer politischen Agenda und zur Verwirklichung ihrer langfristigen Ziele umfasst. Die ständig neu aufkommenden Krisen führen zu Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. 

Das Arbeitsprogramm 2023 der Kommission beinhaltet 43 neue politische Initiativen zu den sechs Kernzielen, die in den politischen Leitlinien zu Beginn der Legislaturperiode festgelegt wurden. 

1. Der europäische Green Deal und die Kreislaufwirtschaft: Fortschritt in Krisenzeiten 

Im Mittelpunkt der zahlreich vorgeschlagenen Maßnahmen steht eine umfassende Reform des Strommarktes als eine der Schlüsselinitiativen im Rahmen des europäischen Green Deal. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die durch den Krieg in der Ukraine verschärfte Volatilität der Energiepreise zu reduzieren, einschließlich der Entkopplung der Strom- und Gaspreise. Die Reform des Strommarktes soll einerseits dafür sorgen, dass die Energiepreise für Verbraucher und Industrie bezahlbar bleiben. Andererseits bereitet sie die EU auf den industriellen Wandel vor, der für die geplante Dekarbonisierung notwendig ist. 

Ein weiterer wichtiger Vorschlag im Zusammenhang mit dem Green Deal ist die Einrichtung einer neuartigen Wasserstoffbank. Diese soll Investitionen in Höhe von 3 Milliarden Euro als Anreiz für die Öffnung des europäischen Wasserstoffmarktes ermöglichen. Während der Rede zur Lage der Union betonte von der Leyen die bedeutende Rolle des Wasserstoffs, er könnte „ein Game Changer für Europa sein“. Dieser Vorschlag blieb jedoch nicht ohne Kritik. Einige Vertreter der Industrie forderten die Kommission auf, zu bedenken, dass Wasserstoff kein zuverlässiger Energieträger ist, da er selbst Energie benötigt, um produziert zu werden. 

Zusätzlich war die Konferenz über die Zukunft Europas ein wichtiger Schritt, um die Europäische Union noch näher an die Bürgerinnen und Bürger heranzubringen. Von April 2021 bis Mai 2022 haben sich Bürgerinnen und Bürger aus ganz Europa in einer Reihe von Debatten und Diskussionen zu Wort gemeldet, mit dem Ziel, die Zukunft Europas konkret zu gestalten. 

Einige der Initiativen, die im Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 vorgeschlagen werden, resultieren direkt aus dieser Konferenz. Im Bereich der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ergab sich eine neue Initiative mit dem Ziel der Abfallreduzierung: Eine Überarbeitung der EU-Abfallrahmenrichtlinie ist für das dritte Quartal 2023 geplant, wobei der Schwerpunkt auf zwei wichtigen Sektoren liegt: Lebensmitteln und Textilien. Die Kommission hat nach einer Konsultationsphase den Lebensmittel- und Textilsektor als jene Branchen identifiziert, in welchen der größte Handlungsbedarf besteht. Die Anstrengungen der Kommission im Textilsektor im Rahmen des Pakets zur Kreislaufwirtschaft waren vielfältig, etwa die Veröffentlichung der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, wie in unserem spezifischen Blogpost beschrieben. 

Die verbleibenden Vorschläge des von der Kommission im März 2022 vorgelegten Pakets zur Kreislaufwirtschaft sind für Ende des Jahres terminiert. Die Initiative „Recht auf Reparatur, die für den 30. November angesetzt war, wurde bereits verschoben und wird voraussichtlich in die Agenda 2023 aufgenommen (weitere Informationen finden Sie in unserem Blogartikel zu dem Thema). 

2. Ein Europa für das digitale Zeitalter: Europäisches Gesetz über kritische Rohstoffe 

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Europäischen Binnenmarktes wurde auch im Hinblick auf die Digitale Agenda der EU ein wichtiger Fortschritt erzielt. Um Europa fit für das digitale Zeitalter zu machen, wird die EU-Kommission voraussichtlich im ersten Quartal 2023 ihren Vorschlag für das „ Europäische Gesetz über kritische Rohstoffe“ veröffentlichen. Der Vorschlag strebt eine Diversifizierung der kritischen Rohstoffe an, die für die digitale Zukunftsfähigkeit Europas unverzichtbar sind. 

3. Die großen „No-Shows“ 

Allerdings gibt es trotz der zahlreichen neuen Initiativen, die in dem Programm vorgeschlagen wurden, auch reichlich Kritik an der mangelnden Konzentration auf wesentliche Themen. Der erste Kritikpunkt betrifft die Überarbeitung der REACH-Verordnung über chemische Stoffe. Dieser Vorschlag, der für den Schutz der Bürger und der Umwelt von immenser Bedeutung ist, war für dieses Jahr vorgesehen, wurde aber nie in Angriff genommen. Die Kommission nahm diese Initiative in das Programm für 2023 auf, verschob sie jedoch in das dritte Quartal 2023. Diese Verzögerung wird von vielen als Ergebnis der Einflussnahme von Interessenvertretern aus dem Chemiesektor angesehen. Tatsächlich ist dieser Vorschlag zwar Teil des Programms, wird aber aufgrund des Umfangs der Reform wahrscheinlich nicht vor Ende der Legislaturperiode fertiggestellt werden, da die Wahlen zum Europäischen Parlament bereits im Jahr 2024 anstehen. 

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die geplante Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie. Obwohl im Arbeitsprogramm 2023 eine Überarbeitung für den Lebensmittel- und den Textilsektor angekündigt wurde, zeigten sich einige europäische Interessenvertreter der Industrie enttäuscht über das Ausbleiben einer umfassenderen und ehrgeizigeren Überarbeitung der Richtlinie. Sie kritisieren, dass die Europäische Kommission die Gelegenheit versäumt hat, den Weg zur Etablierung einer harmonisierten Gesetzgebung für Abfälle in allen Mitgliedstaaten zu beschreiten. 

Der Blick nach vorne 

Zusammenfassend definiert das Arbeitsprogramm 2023 der Kommission eine umfassende und vielfältige Agenda, die die europäischen Gesetzgeber im letzten vollen Jahr der Legislaturperiode ausreichend auslasten wird. Trotz aller Widrigkeiten bewegt sich die Kommission auf ihre zu Beginn gesteckten Ziele zu, ohne das Gesamtprojekt durch die aktuellen krisenbedingten Herausforderungen zu gefährden. 

Um Unternehmen bei der Beeinflussung und Gestaltung wichtiger europäischer Initiativen zu unterstützen, ist es wichtig, über ein klares Bild der Verfahren zur Entwicklung des Arbeitsprogramms der Kommission zu verfügen. Basierend auf dieser Expertise ist es möglich, ein zielgerichtetes Vorgehen zu entwickeln und den optimalen Zeitpunkt zum Handeln zu bestimmen, um den Interessen der Stakeholder Gehör zu verschaffen. 

  • Beitrag von Eleonora Marino und Elisabeth von Reitzenstein Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 145 Deprecated: Function strftime() is deprecated in /mnt/web320/e2/23/59262923/htdocs/WordPress_02/wp-content/plugins/qtranslate-xt-3.12.1/qtranslate_date_time.php on line 201 4.11.2022
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