Gemeinsam mit dem Hamburger Tech-Unternehmen Wunder Mobility veröffentlichen wir einen monatlichen Mobility-Policy-Newsletter. Im Fokus stehen alle Fragen rund um das Thema Mobility, Regulierung und Technologie. Auf unserem Blog veröffentlichen wir nun den nächsten Artikel im Vorfeld der Bundestagswahl 2021.

Die Parteien haben der Klimapolitik für die Bundestagswahl besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein zentraler Aspekt des Klimaschutzes ist die Mobilitäts- und Verkehrspolitik: sei es die Zukunft des Verbrennungsmotors, die Förderung alternativer Antriebe, autofreie Innenstädte oder Mobilitätskonzepte für Stadt und Land. Der Verkehrssektor ist aktuell für rund 30 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs und etwa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Dem gegenüber stehen zunehmend ambitionierte Ziele der Klimapolitik, die sich nicht zuletzt aus dem Pariser Klimaabkommen ableiten.

In diesem Beitrag wirft Paula Böcken, Expertin für Verkehrspolitik der Bernstein Public Policy, einen Blick in die Wahlprogramme der Parteien und betrachtet dabei insbesondere den Straßenverkehr. Bei allen Parteien nimmt die Gestaltung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und des Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine wichtige Rolle ein. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, stehen die folgenden Fragen im Mittelpunkt:

  1.   Wie können MIV und ÖPNV umweltverträglicher gestaltet werden?
  2.   Welche Technologien sollen in welchem Umfang gefördert werden?
  3.   Wie finanziert sich die klimafreundliche Entwicklung von motorisiertem Individualverkehr und ÖPNV?

Ein genauerer Blick in die Wahlprogramme und auf jüngste Positionierungen offenbart: Die Parteien verbindet der Grundtenor, dass Emissionen langfristig reduziert werden müssen. Bezüglich der Umsetzung und des Zeitplans gibt es jedoch deutliche Unterschiede.

Wie können MIV und ÖPNV umweltverträglicher gestaltet werden?

Der politische Status Quo verfolgt das Ziel einer Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2030 um mindestens 50 Prozent gegenüber 1990. Dies spiegelt sich unter anderem in der eingeführten, gestaffelten CO2-Steuer der aktuellen Bundesregierung wider, welche Auswirkungen auf alle Kraftstoffpreise zeigt und bis 2025 einen Preis von 55 Euro pro ausgestoßene Tonne zur Folge haben wird. Auch der Ausbaupfad für die Elektrifizierung des MIV durch steuerliche Vorteile, Förderungen oder die massive Unterstützung für einheimische Batterieentwicklung und -produktion wurden auf den Weg gebracht. Doch welche weiteren Entwicklungen sind in der kommenden Legislaturperiode zu erwarten?

  • Die Grünen wollen den Trend zu verbrauchsarmen Fahrzeugen und Elektroautos stark beschleunigen. So fordert die Oppositionspartei bereits für das Jahr 2023 die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro pro Tonne. Außerdem verfolgt die Partei das Ziel ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zuzulassen, da der Verkehr Deutschlands bis 2050 komplett CO2-neutral sein soll.
  • Die SPD positioniert sich ebenfalls klar zur klimaneutralen Mobilität, definiert jedoch keinen Rahmen, sondern das Ziel der Reduzierung des Personenverkehrs mit dem Auto.
  • Die FDP spezifiziert das Ziel, den legislativen Fokus auf technologieoffene Gesetze und Verordnungen im Fahrzeugbau zu legen, während einseitige Subventionen und Vorgaben beendet werden sollen und Verbote als nicht progressiv und nicht nachhaltig gelten.
  • Die Union setzt das Ziel die Treibhausgasemissionen Deutschlands bis 2030 um 65 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu reduzieren. Die Autoproduktion steht allerdings weiterhin im Vordergrund und sollte daher nachhaltiger gestaltet werden.

Alle Parteien eint also das Ziel, den MIV emissionsärmer zu entwickeln. SPD und Grüne wollen diese politisch steuern, während Union und FDP auf Marktentwicklungen setzen.

Großer Konsens beim urbanen Mobilitätsmix

Grüne, Union und SPD sind sich in ihrer Positionierung bei der Reform des Straßenverkehrsrechts einig. Dadurch soll den Kommunen mehr Mitspracherecht bei innovativen Verkehrskonzepten ermöglicht werden und generell soll ein bedarfsgerechtes Grundangebot an Mobilität geschaffen werden. Auch soll der Rad- und Fußverkehr mehr Anteile im öffentlichen Raum erhalten. Darüber hinaus herrscht große Einstimmigkeit bei der Stärkung des ÖPNVs. Zusätzlich sprechen sich alle Parteien für innovative Verkehrskonzepte wie Car-Sharing, Bike-Sharing oder E-Scooter aus. Union, SPD und Grüne unterstützen des Weiteren die Idee des 365-Euro-Tickets und einen ticketfreien Nahverkehr. Dadurch wolle man die Fahrgastzahlen im ÖPNV erhöhen und den Anschluss an den öffentlichen Verkehr auch im ländlichen Raum stärken. Außerdem fordern die Grünen, Bahnhöfe zu Mobilitätstationen aufzuwerten und die Kombination von Fahrrad und ÖPNV zu verbessern. Mobilitätsstationen stützt auch die Union.

Durch diese Ansätze wird die nachhaltige Verkehrsentwicklung auf Kommunalebene in der 20. Legislaturperiode voraussichtlich stark an Bedeutung gewinnen. Interessant ist, dass sich der Trend Kommunen im Sinne der Subsidiarität mit immer mehr Befugnissen auszustatten, fortzusetzen scheint.

Welche Technologien sollen in welchem Umfang gefördert werden?

Aktuell fördert die Bundesregierung den Kauf von Elektrofahrzeugen. Auch unterstützt sie seit Jahren aktiv die Batterieforschung. Im Fokus stehen Material- und Prozesstechnik für Lithium-Ionen-Systeme. Im Rahmen einer neuen Förderrichtlinie (NIP II) wird nunmehr die Förderquote für Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb auf 80 Prozent angehoben. Außerdem sollen bis 2023 bis zu 400 Wasserstofftankstellen in Deutschland verfügbar sein. Beide Technologien sind auch für die nächste Legislatur von Interesse.

  • Die SPD möchte Deutschland bis 2030 zum Leitmarkt für Wasserstofftechnologien entwickeln (unter anderem für CO2-arme PKWs) und setzt das Ziel, die Stromnetze und Ladeinfrastruktur stark auszubauen. 2030 sollen mindestens 15 Millionen PKW in Deutschland voll elektrisch fahren.
  • Auch die Union betont das Wasserstoff und darüber hinaus synthetische Kraftstoffe stärker ausgebaut werden müssen. Für den weiteren Ausbau des elektrifizierten Verkehrs ist außerdem der Ausbau der Ladeinfrastruktur entscheidend. Das Ladesäulennetz soll so ausgebaut werden, dass Lademöglichkeiten Anreize für den Umstieg setzen. Zusätzlich will die Partei den rechtlichen Rahmen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so setzen, sodass die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesetzt wird.
  • Die FDP stützt den flächendeckenden Ausbau von Schnelladesäulen und interoperablen Bezahlstrukturen für die E-Mobilität.
  • Die Grünen verfolgen das Ziel, die Entwicklung der Automobilindustrie vollständig auf Elektromobilität auszurichten.

Wieder unterscheiden sich die Ansätze in politischer und marktwirtschaftlicher Steuerung.

Dies birgt klare Hindernisse in der Entscheidungsfindung. Eine Tendenz zur Förderung der E-Mobilität ist klar zu erkennen. Über die Finanzierung der Vorhaben herrscht jedoch noch große Uneinigkeit.

Wie finanziert sich die klimafreundliche Entwicklung von motorisiertem Individualverkehr und ÖPNV?

Die Finanzierung der deutschen Verkehrsinfrastruktur erfolgt zurzeit aus verschiedenen Quellen. Der größte Teil der bereitgestellten Mittel kommt aus dem Steueraufkommen, knapp 1/3 beträgt die Lkw-Maut und hinzu kommen weitere Mittel von der Europäischen Union. Folgende Schritte gehen aus den aktuellen Wahlprogrammen hervor, um die klimafreundliche Entwicklung von MIV und ÖPNV voranzutreiben:

Der Kauf emissionsfreier Autos soll den Grünen nach über ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer erleichtert werden. Das heißt, dass klimafreundliche Autos billiger werden sollen und klimaschädliche teurer. Auch soll die Dieselsubvention beendet und die Dienstwagenbesteuerung „ökologisch umgestaltet“ werden. Dies würde sich in einer Koalition mit der FDP allerdings als schwierig erweisen, die Subventionen wie die Kaufprämie nicht unterstützen will. Die SPD wiederum möchte den Fortschritt beim Ausbau der Ladesäulen für Elektroautos, wo nötig, mit Versorgungsauflagen und staatlichem Ausbau fördern. Auch diese Unstimmigkeiten werden nicht einfach zu lösen sein.

Implikationen für die 20. Legislaturperiode

Auf den bisherigen Programmen basierend und da Koalitionskonstellationen, die CDU/CSU, Grüne, SPD und FDP beinhalten die wahrscheinlichsten politischen Konstellationen darstellen, lässt sich folgendes ableiten:

  1.   Die Grünen werden voraussichtlich Teil der regierenden Koalition werden. Dies wird Koalitionsverhandlungen aufgrund grundsätzlicher Unterschiede in der Zielbildverfolgung insbesondere mit Union und FDP erschweren. Die Grundsatzfrage, ob Markt oder Staat steuern sollte, wird zu klären sein, insbesondere mit Bezug auf Themen wie den Hochlauf der Elektromobilität.
  2.   Wichtig wird in diesem Zusammenhang, welche Partei sich das Verkehrsministeriums sichert. Die Grünen haben etliche profilierte Verkehrspolitiker, das Thema spielt für die Partei seit ihrer Gründung eine wichtige Rolle. Auch die CDU kann sich mittlerweile das Verkehrsministerium vorstellen – auch weil die Schwesterpartei CSU nach 13 Jahren und zuletzt vermehrt Schwierigkeiten kein großes Interesse mehr nachgesagt wird.
  3.   Die Vorhaben der SPD sind verstärkt grün orientiert und eine Ampelkoalition würde somit stark Klimaschutz-orientierte Ziele verfolgen. Der geteilt staatsorientierte Ansatz steht einer Konsensfindung mit der FDP klar im Wege.

Die Thematik Klimaschutz birgt im Verkehrssektor große Potenziale. Während alle Parteien langfristig sehr ähnliche Ziele im Blick haben, wird die Umsetzung dieser und die Bestimmtheit des Zeitplans die größte Herausforderung der Koalitionsverhandlungen darstellen.

Die Wahlprogramphase der Parteien befindet sich in den letzten Zügen. Bis Ende Juni sind alle final abgestimmten Programme der Parteien zu erwarten. Bis dahin und auch darüber hinaus werden wir Sie regelmäßig auf dem Laufenden halten.