Die Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft am 23. Februar 2020 haben im Gegensatz zu den letzten Landtagswahlen klare Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht. Die SPD wurde deutlich stärkste Kraft vor den Grünen und der CDU. Die Linke verbesserte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2015, während AfD und FDP um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft bangen müssen.

Die Ergebnisse lassen dabei vier allgemeine Rückschlüsse zu:

  • Koalitionen aus zwei Parteien sind in den (westdeutschen) Ländern vereinzelt noch möglich.
  • Die Hamburger SPD steht vor der Entscheidung, in welche Beziehung Fraktion und Senat zueinander gebracht werden sollen.
  • Die Folgen der Wahl sind für den Bundesrat überschaubar.
  • Das Wahljahr 2021 könnte die Verhältnisse zwischen Bundestag und Bundesrat komplett neu ordnen.

Koalitionen aus zwei Partnern sind in den Ländern noch nicht tot

Die Hamburger Bürgerschaftswahlen – die einzigen regulären Landtagswahlen in 2020 – haben ein ungewohnt klares Abstimmungsergebnis hervorgebracht. Nachdem aus den Landtagswahlen 2019 nur noch Koalitionen mit drei Parteien möglich waren, wirkt die klare Bestätigung einer Koalition aus zwei Partnern in Hamburg wie ein Ausreißer. Schaut man sich den Langzeittrend an, so wird in der Wahrnehmung bestätigt: Noch 2015 gab es in 14 von 16 Ländern Koalitionen aus zwei Parteien. Die Ausdifferenzierung der Wählerschaft scheint sich auf Landesebene zuerst Bahnen zu brechen.

Doch sind Bündnisse mit nur zwei Partnern immer noch keine absolute Seltenheit. So existieren aktuell immerhin noch in sieben der fünfzehn Länder Regierungsbündnisse aus zwei Koalitionspartnern. Interessanter ist die regionale Verteilung: In fünf der sechs neuen Bundesländer sind drei Parteien notwendig, um eine Regierung zu bilden – in den übrigen zehn Bundesländern nur in drei.

Schaut man sich die aktuellen Umfragen der kommenden Landtagswahlen an, so könnte zumindest Rheinland-Pfalz rechnerisch auch wieder eine Koalition aus zwei Partnern erhalten. Sollte dies so eintreten, würde dies die These untermauern, dass Zweier-Bündnisse auf Landesebene kein Auslaufmodell sind und vor allem in den „alten“ Bundesländern noch regelmäßig gebildet werden können.

Schwerpunkt des Regierungshandelns – Senat oder Bürgerschaft?

Unabhängig von der Anzahl der Koalitionspartner ist die Größe der Koalition im Parlament dann doch überraschend. Sollte das rot-grüne Bündnis weiter regieren, so hätte es nach den aktuellen Ergebnissen eine Mehrheit von 67,8% im Parlament. Das wäre die drittgrößte Mehrheit einer Regierung in einem Landesparlament, nach Saarland (80,4%) und Niedersachsen (76,6%). Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die beiden anderen genannten Bundesländer von SPD und CDU gemeinsam regiert werden.

Diese Ausgangslage ist für die beteiligten Akteure Fluch und Segen zugleich: Die Grünen haben ihr relatives Gewicht deutlich erhöht, während die SPD Verluste hinnehmen musste. Dies bedeutet in der Arithmetik der Politik, dass der Koalitionsvertrag und der kommende Senat grüner werden dürften. Allerdings hat diese Ausgangslage auch Nachteile für die Grünen: überziehen sie ihre Forderungen, kann die Hamburger SPD immer noch auf die CDU als kleineren Koalitionspartner setzen und wieder relativ an Gewicht in einer Regierungskonstellation zulegen.

Eine SPD/CDU-Koalition hätte allerdings wiederum den Nachteil, dass das Abstimmungsverhalten im Parlament deutlich konsistenter sein müsste. Deren Mehrheit im Parlament wären drei Stimmen, während Rot-Grün auf eine Mehrheit von 21 Stimmen setzen könnte. Letzteres würde erlauben, seine eigenen Inhalte ein wenig stärker zu machen, da man einige Abweichler bei kritischen Entscheidungen verkraften könnte. Somit stellen sich zwei entscheidende Richtungsfragen für die Hamburger SPD:

  • Wie viel Macht gibt man den regierungstragenden Fraktionen im Vergleich zum Senat?
  • Wie viel eigenen Inhalt kann man mit dem jeweiligen Koalitionspartner vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft durchsetzen?

Bundesrat – Bleiben die Grünen zweistärkste Macht?

Die Koalitionsentscheidung in Hamburg hat natürlich auch einen Einfluss auf die Verhältnisse im Bundesrat: Sollte Hamburg aus dem „linken“ Lager in das immer stärker anwachsende Lager der richtungsübergreifenden Koalitionen wechseln, würden die Grünen mit der SPD vom Stimmengewicht gleich ziehen. Zudem würde sich eine neue Gruppe aus norddeutschen Bundesländern (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg) bilden, die von einer SPD-geführten Großen Koalition regiert werden. Diese Gruppe käme dann immerhin auf zwölf Stimmen. Bleibt es bei der bisherigen Koalition aus SPD und Grünen bleiben die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat stabil.

2021: Das Superwahljahr, das seinen Namen verdient

Den Blick sollte man schonmal nach vorne richten: 2021 stehen fünf reguläre Landtagswahlen (Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommer, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) und voraussichtlich die vorgezogene Landtagswahl in Thüringen an. Darüber hinaus wir der Bundestag neu gewählt. Das Wahljahr wird große Auswirkungen auf die gesamte politische Arithmetik haben: Bundestag, Bundesregierung als auch Bundesrat werden sich vermutlich neu zusammensetzen.

Insbesondere beim Bundesratlohnt der Blick – immerhin werden 25 der 69 Stimmen durch die Wahlen neu aufgeteilt. Das ist der höchste Wert in den nächsten fünf Jahren und wird das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu definieren. Es lohnt sich, schon einmal Gedanken über das zukünftige Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat Gedanken zu machen. Die spannendste Frage ist aber, welche Entwicklungen die einzelne Partei selbst nehmen – und welche Personaldebatten erneut aufflammen werden.

Dieser Artikel hat Ihnen gefallen?
Dann geben Sie uns gerne ein Feedback und liken oder teilen ihn via Twitter und LinkedIn.

Sie brauchen eine Unterstützung in komplexen politischen Entscheidungsprozessen?
Schreiben Sie uns gerne: contact@bernstein-group.com

Sie haben Spaß an Zahlen, Daten und Politik?
Dann schicken Sie uns Ihre Initiativbewerbung.